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Archiv-Artikel

Geschichte als Endlos-Loop

Künstlerische Nachahmung ist Befragungen der Gegenwart mittels Rückgriffs auf historische Ereignisse. „History Will Repeat Itself“ – Medienkunst in der Dortmunder Phoenix-Halle

VON PETER ORTMANN

Impulsives Bildschirmflimmern, Sprach- und Geräuschfetzen, bunte Lämpchen im Dämmerlicht. Für die Augen war es nie angenehm, eine Ausstellung des Hartware MedienKunstVereins (HMKV) in der Dortmunder Phoenix-Halle zu besuchen. Der versteht sich als Plattform für die diskursiven Kontexte von zeitgenössischer, experimenteller (Medien-)Kunst und die braucht natürlich Strom, aber eher wenig Licht, dafür um so mehr elektronische Aufmerksamkeit. „Genießen Sie den Ort, solange er noch erreichbar ist“, sagte Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann“ und spielte auf die großflächige Wiederherstellung des Hochofengeländes an, dessen Zukunft Mikrotechnologie und Informationstechnik sein wird – und ein neuer See. Die Vergangenheit bleibt hier Erinnerung.

Ganz anders die neue Ausstellung im bereits restaurierten, ehemaligen Reserveteillager. „History Will Repeat Itself“ beleuchtet aktuelle Strategien künstlerischer Reenactments und stellt die Positionen von 22 internationalen KünstlerInnen vor. Damit ist sie das erste umfassende Ausstellungsprojekt zum Thema Reenactment in Deutschland und wandert anschließend zum KW Institute for Contemporary Art in Berlin. Doch worum geht es eigentlich? „In der zeitgenössischen Kunst der letzten Jahre lässt sich eine fast unheimliche Lust an Re-Inszenierungen historischer Ereignisse beobachten“, sagte Inke Arns, Kuratorin und künstlerische Leiterin des HMKV zur Eröffnung. Als Reenactment (deutsch: Nachstellung, Wiederaufführung) bezeichnet man die historisch korrekte Nachstellung vergangener gesellschaftlich relevanter Ereignisse, wie bedeutende Schlachten oder historische Begebenheiten. Zuschauer werden zu Zeugen, manchmal sogar zu Teilnehmern des historischen Geschehens.

So ließ der britische Künstler Jeremy Deller – Turner-Preisträger 2004 – für seine Arbeit „The Battle of Orgreave“ (2001) eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Bergarbeitern und Polizisten aus dem Jahr 1984 von ehemaligen Teilnehmern und Laien-Darstellern nachstellen. Seine Landsleute Iain Forsyth und Jane Pollard produzierten lieber das Remake einer heimlich gemachten Videodokumentation eines legendären Konzertes der Cramps, welches die US Punk-Rock Band am 13. Juni 1978 für die Patienten des Napa Mental Institute in Kalifornien gab. Das Konzert erlangte einen mythischen Status, der vor allem durch das echte Video untermauert wurde, welches auf Musikforen gehandelt wird.

Die deutsche Künstlerin Heike Gallmeier besuchte 2004 eines der weltgrößten Treffen von Militaria-Sammlern im britischen Beltring: Die so genannte War and Peace Show. Ihre semi-dokumentarischen Fotografien zeigt Living History-Arrangements.

Im Unterschied dazu sind künstlerische Reenactments keine Inszenierungen zurückliegender Ereignisse, sondern sie werden zum Teil haptisch wiederholt. Am eigenen Leib erfahren kann man dies in Rod Dickinsons „The Migram“ Installation. Sie beschäftigt sich mit einem der umstrittensten Experimente der Sozialpsychologie des 20. Jahrhunderts. 1961 führte der damals 27-jährige Assistenzprofessor Stanley Milgram an der Universität von Yale das so genannte „Milgram-Experiment“ durch, das dazu dienen sollte, die Verbrechen des Nationalsozialismus sozialpsychologisch zu untersuchen. Ein Wissenschaftler forderte die Testperson auf, einer dritten Person im Nebenraum bei fehlerhaften Antworten Elektroschocks zu geben, deren Stärke im Verlauf des Experiments zunahm. Trotz der aus dem Nebenzimmer zu hörenden Protest-und Schmerzensschreie, die von einem Tonband eingespielt wurden, waren zwei Drittel der 1.000 Versuchspersonen bereit, Stromschläge bis zum tödlichen Schock zu geben.

Dickinsons Reenactment von 2002 ist eine exakte Rekonstruktion von Teilen des ursprünglichen Experiments. Danach ist der Besucher in Dortmund froh, wenn er wieder den staubigen Parkplatz erreicht und einen Blick auf die rostigen Ruinen des ehemaligen Hochofens werfen kann, den kein künstlerisches Reenactment wieder zum Leben erweckt.

Bis 23. September 2007 Infos: 0231-823106