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Archiv-Artikel

Ein Wahlrecht, das niemand mehr versteht

Heute entscheidet der Verfassungsausschuss der Bürgerschaft über Hamburgs neues Wahlrecht. Auf dem Tisch liegen drei Entwürfe, von denen jeder der demokratischste sein will. Am Ende wird die Vorlage der CDU-Mehrheit beschlossen

Heute Abend wird die Verwirrung komplett sein. Dann berät der Verfassungsausschuss der Bürgerschaft abschließend über das künftige Hamburger Wahlrecht. Drei Vorschläge von CDU, SPD und GAL liegen auf dem Tisch, und zu erwarten ist, dass die Unionsmehrheit ihren Entwurf beschließen wird. Am Mittwoch nächster Woche wird er mit den Stimmen der CDU zum Gesetz erhoben werden, und dann hat Hamburg ein Wahlrecht, das niemand so recht durchblickt.

Das hatte sich bereits vorigen Dienstag auf einer Expertenanhörung abgezeichnet. Danach freute sich CDU-Fraktionschef Bernd Reinert darüber, dass der niedersächsische Landeswahlleiter Karl-Ludwig Strelen den Unions-Entwurf, der sich am Kommunalwahlrecht Niedersachsens orientiert, als „gelungene Übertragung“ auf die Besonderheiten des Stadtstaates bezeichnet habe. Der grüne Verfassungsexperte Farid Müller hingegen erklärte, Strelen habe deutlich gemacht, dass die Verhältnisse im Flächenland „sich nicht auf Hamburg übertragen“ ließen.

Dies ist nur ein Beispiel für die Kompliziertheit der staubtrockenen und zugleich politisch brisanten Rechtsfragen, um die hier gestritten wird. Letztlich geht es um eine Frage: Haben die WählerInnen eine echte Auswahl unter den KandidatInnen, die von den Parteien nominiert wurden? Im bisherigen Gesetz gab es die nicht, urteilte Ende April das Hamburgische Verfassungsgericht und forderte klare Regeln.

Jetzt meint jede Fraktion, ihr Entwurf sei der klarste. Die SPD orientiert sich am Bremer Wahlrecht, weil dort die Auswahlmöglichkeiten „wesentlich stärker“ seien als bei den beiden anderen Vorlagen. Die GAL hat einen Entwurf erarbeitet, der in 52-seitigen Modellrechnungen nachweist, dass er viel transparenter und demokratischer sei als die Vorschläge der Konkurrenz. Und die CDU glaubt weiterhin dasselbe von ihrer Vorlage.

Nachprüfbar ist das alles nicht, weil in letzter Konsequenz niemand den exakten Einfluss von Wählerstimmen auf die Mandatsverteilung ausrechnen kann. Die Mathematik aber steht eh hintenan, findet Reinert. Weil bei der Expertenanhörung keine grundsätzlichen „rechtlichen Bedenken“ geäußert worden sein, gehe es jetzt um „eine rein politische Frage“. Und die wird die CDU mit ihrer Mehrheit für den eigenen Entwurf beantworten.

Ab Herbst läuft eine von der Bürgerschaft bereits beschlossene Informationskampagne an, um den HamburgerInnen zu erklären, was mit ihren Stimmen passiert, wenn sie die erst mal an der Urne abgegeben haben. Kostenpunkt für die bunten Blättchen: eine knappe Million Euro.

SVEN-MICHAEL VEIT