Bürger gehen auf die Bäume

Die Baumschützer vom Landwehrkanal haben einen ersten Erfolg: Bisher konnte nicht gefällt werden. Der Kanal bleibt für die Schifffahrt gesperrt. Aktivisten proben weitere Baumbesetzungen

VON PLUTONIA PLARRE

Am Ufer des Landwehrkanals stehen zwei Frauen unter einer Kastanie und versuchen, ein Seil über einen Ast in vier Meter Höhe zu werfen. Beim fünften Versuch schaffen sie es. Eine Probe für den Ernstfall: Wenn das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) seine Ankündigung wahr macht und am Landwehrkanal Bäume fällen lässt, wollen Elisa Gelewski und Angelica Seyfrid auf die bedrohten Bäume klettern. „Wir besetzen sie“, steht für die beiden fest. Nicht nur das Seil haben sie immer dabei, auch die Tasche mit Notproviant, Klopapier, Kontaktlinsenflüssigkeit, Buch, Kissen und warmem Pullover. „Nachts wird es da oben sehr kalt“, weiß Angelica Seyfrid.

300 Meter weiter im Urbanhafen. Mitten in der Fahrrinne, wo sonst die Ausflugsschiffe unterwegs sind, lässt sich eine Gruppe von Schwänen treiben. Kein Motorengeräusch, keine Lautsprecherdurchsagen stören die Idylle. Der gesamte Boots- und Ausflugsverkehr auf dem Kanal ist seit Freitag gesperrt. Die Reederei Riedel gehört zu den betroffenen Unternehmen. „Ein bis zwei Tage kann man mit Wartungsarbeiten überbrücken. Alles Weitere geht an die Substanz, wenn man nur sechs bis sieben Monate im Jahr fährt“, klagt Geschäftsführer Lutz Freise. Pro Tag verliere er 15.000 Euro. Wie lange das so gehen soll, weiß keiner. „Wir appellieren an die Verantwortlichen, schnellstmöglichst eine Lösung zu finden“, sagt Riedel.

Niemand ist zuständig

Die Frage ist nur: Wer ist verantwortlich? Der Leiter des WSA, Hartmut Brockelmann, erklärte gestern, dass der Landwehrkanal auch in den kommenden Tagen für den gesamten Schiffsverkehr gesperrt bleibe, weil drei einsturzgefährdete Linden am Landwehrkanal nahe der Großbeerenstraße nicht hätten gefällt werden können. Ein Versuch war am Samstag von Mitgliedern des Aktionsbündnisses „Bäume am Landwehrkanal“ und dem Naturschutzbund (NABU) verhindert worden. Mehrere Menschen waren auf die Bäume geklettert oder hatten sich angekettet. „Wir haben unsere Möglichkeiten ausgeschöpft“, meint Brockelmann. Nun sei es am Senat, eine Lösung zu finden.

Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betonte hingegen, dass allein das Schifffahrtsamt zuständig sei. Der Landwehrkanal sei eine Bundeswasserstraße. Es müsse auch keine Genehmigung erteilt werden, um die drei Bäume fällen zu lassen. „Wir wollen, dass die Wasserstraße so schnell wie möglich wieder geöffnet und so wenige Bäume wie möglich gefällt werden“, fügte sie hinzu.

Die Sprecherin des Aktionsbündnisses, Doris Furtwengel, betonte, die Initiative wolle der Fahrgastschifferei auf keinen Fall schaden. „Dass die jetzt die Leidtragenden sind, bedauern wir sehr“, sagte Furtwengel. Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), forderte das WSA auf, die Sperrung des Kanals aufzuheben und sich an die bei einem bezirksübergreifenden Treffen gemachte Vereinbarung zu halten: Die 71 vom WSA für die Fällung vorgesehenen Bäume müssten einzeln unter Beteiligung der bezirklichen Fachämter begutachtet werden. Das Ergebnis sei auf einer Veranstaltung mit Bürgerbeteiligung vor dem Beginn der Sommerferien zu präsentieren. Bis dahin dürfe kein Baum umgelegt werden.

Das Aktionsbündnis hat inzwischen nach eigenen Angaben rund 13.000 Adressen gegen die Fällaktion gesammelt. Jeden Abend um 18 Uhr ist auf der Admiralbrücke offenes Plenum, wo weitere Schritte beraten werden. Zu den 500 Leuten, die jederzeit über eine Telefonkette Tag und Nacht aktivierbar sind, gehören auch Elisa Gelewski und Angelica Seyfrid. Die 37-jährige Schauspielerin und die 46-jährige Künstlerin haben sich am Samstag bei der Besetzung der drei Linden kennengelernt. Sie waren mit einer Leiter in den Wipfel geklettert. Weil man die aber nicht immer mit sich herumtragen kann, haben sie sich das Seil gekauft.

Die gestrige Übung an der Kastanie gestaltete sich letztlich jedoch schwieriger als gedacht. Ohne die Unterstützung von zwei Männern, die sie nach oben zogen, hätte es Gelewski kaum auf den Baum geschafft. Aber das entmutigt sie nicht. „Wenn es ernst ist, steht man unter Adrenalin. Dann geht es besser.“