THEATER

betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Europa verliere gerade in rasendem Tempo seine Räume für progressive Kunst, hat in der letzten Woche die renommierte internationale Festivalkuratorin Frie Leysen in Amsterdam gesagt, wo sie den Erasmuspreis, einen der bedeutendsten europäischen Kulturpreise, bekam. Entfaltungsmöglichkeiten für Künstler würden überall dramatisch schrumpfen. Oder die Künstler passten sich zunehmend der Disneyisierung der Künste im 21. Jahrhundert an, würden langsam ertrinken in einer bourgeoisen, künstlichen und von Macht, Geld, Karrieredenken und Eitelkeit beherrschten Spektakelwirtschaft. 2013 hat Frie Leysen in Berlin für eine Saison lang u. a. auch das Berliner Festival „Foreign Affairs“ kuratiert. Aber damals war es Sommer, nun ist November – wohl nicht nur auf dem Kalender. Und immer noch bestimmt das Jubiläum des Mauerfalls die Spielpläne dieser Stadt. Das English Theatre Berlin bringt aus diesem Anlass das Stück des Theaterkollektivs copy & waste „Nasty Peace“ heraus. Das Stück richtet den Blick auf die Verlierer des Kalten Krieges nach 1989, zu denen auch jene gehören, die dem Verdrängungsdruck des Kapitals nicht gewachsen waren und sind – des Kapitals, für das die Mauer ja am Ende auch geöffnet wurde. Auch wenn das in den Sonntagsreden dieser Tage kaum Erwähnung fand. Den Text hat der Schriftsteller und Stückeschreiber Jörg Albrecht geschrieben (der auch dem Kollektiv copy & waste angehört). Im Mai war er bei einer Buchmesse in Abu Dhabi wegen Spionageverdachts festgenommen worden und verbrachte einige Tage in Haft, bevor er zurück nach Hause durfte (English Theatre Berlin: „Nasty Peace“, ab 20. 11., 19 Uhr).

Eine der tollsten und aberwitzigsten Geschichten des klassischen Theaters ist Kleists „Amphitryon“. Es geht unter anderem um Götter, die die Menschen um ihre Unvollkommenheit beneiden: und darum, dass sie etwas können, wozu Götter wohl nicht fähig sind: zu lieben. Also schleicht sich Jupiter, der Oberste in der Hierarchie der olympischen Ordnung, in Menschengestalt in Bett und Herz der Alkmene. Und zwar nimmt er das Aussehen ihres abwesenden Gatten Amphitryon an. Sein Diener raubt sich ebenfalls eine menschliche Identität. Dann geht sie los, die Achterbahnfahrt der Herzen, das Verwechslungsspiel der Identitäten. Es inszeniert Katharina Thalbach, und zwar im Berliner Ensemble, womit garantiert wäre, das die edlen Wesen dieser Geschichte samt ihrer emotionalen Verwicklungen mal so richtig durch den Theaterkakao gezogen werden! (Berliner Ensemble: „Amphitryon“, Öffentliche Probe: 20. 11., 19 Uhr, Premiere: 22. 11., 19 Uhr)