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Archiv-Artikel

„Aufruhr über die Verhältnisse ist in uns“

THEATER Die Publizistin Mely Kiyak ist mit ihrem Stück „Aufstand“ in Berlin zu Gast. Ein Gespräch über den Zwiespalt zwischen Anpassung und Widerstand. Und was es eigentlich bedeutet, einen freien Geist zu haben

Aufstand geprobt

Ein kurdischer Künstler mit DAAD Stipendium in Deutschland reflektiert aus der Distanz sein Leben in der Türkei. Er beobachtet die Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit und die staatlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Reaktionen darauf. Eines Tages steht er auf und probt den Aufstand - gegen die NachbarInnen, die KünstlerkollegInnen, den Galeristen. Und wagt zu fragen, ob es wirklich sinnvoll war, in jedem kurdischen Dorf Strom zu legen.

Die Publizistin Mely Kiyak war 2013 Augenzeugin der Proteste in der Türkei. In ihrem ersten Theaterstück „Aufstand“ beschreibt sie ihre Sicht auf die Ereignisse. Inszeniert von dem ungarischen Theatermacher András Dömötör.

■ „Aufstand“ – im Rahmen des „Voicing Resistance“–Festivals: Studio R des Maxim Gorki Theaters, Hinter dem Gießhaus 2, Berlin Premiere 20.11., 20. 30 Uhr, weitere Vorstellungen am 21. 11., 11. 12., und 26. 12. jeweils 20. 30 Uhr, Infos: www.gorki.de

VON TANIA WITTE

Während ihrer Arbeitszeit wird nicht telefoniert, und Leserkommentare liest sie grundsätzlich nicht. Es sei denn, es handelt sich um rassistische Briefe, die im Rahmen einer Hate-Poetry-Session vorgetragen werden. Kontroversen scheinen die Kreativität der Publizistin Mely Kiyak ebenso zu befeuern wie das Leben an sich. Sie verarbeitet beides künstlerisch, in allen Formen, die sich mit Worten füllen lassen. Das Theaterstück, das sich aus ihren Beobachtungen der Taksim-Proteste speist, feiert im Gorki seine Berlin-Premiere.

taz: Frau Kiyak, Aufstand ist Ihr erstes Theaterstück. Warum Theater?

Mely Kiyak: Von meiner Ausbildung her bin ich Dramatikerin. Ich habe mein Diplom als Prosaautorin und Theaterschreiberin gemacht. Aber ich hatte das vergessen. Auch, wie anders es ist, wenn auf der Bühne ein Mensch steht und spricht. Man könnte zu ihm gehen und ihn anfassen, er ist wirklich da. Und damit auch die Figur, sein Kosmos, seine Erzählung. Und doch stimmt nichts, weil alles gespielt ist. Das Theater simuliert auf authentische Art das Leben. Nichts ist echt, aber alles ist echt. Darüber könnte ich vor Freude bekloppt werden.

Klingt, als hätte das Schreiben großen Spaß gemacht. Inwieweit unterschied sich die Arbeit an diesem Monolog von Ihren bisherigen Arbeiten?

Bühnenschreiben ist einerseits sehr sinnlich, weil man einen Menschen schafft, und gleichzeitig sehr technisch, weil der Sprechende auf der Bühne steht. Normalerweise schreibe ich als Mely Kiyak. Auf der Bühne verschwindet Mely und stattdessen spricht ein anderer.

Und dieser andere, Ihre Hauptfigur, ist ein Mann. Warum haben Sie das so entschieden?

Ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich fing an die ersten Zeilen zu schreiben und dann wusste ich es. Beziehungsweise, ich las es: Hier spricht ein Mann.

Und dieser Mann ist ein Lehrer, ein Künstler, ein Kurde – er ist Staatsdiener der Türkei und Dissident in einem.

Ein monologisches Theaterstück steht und fällt mit dem Schauspieler. Als das Staatstheater Karlsruhe das Stück bei mir in Auftrag gab, fragten sie mich, ob es einen Schauspieler gibt, den ich mir in der Rolle meiner Figur vorstellen könnte. Sofort kam mir Mehmet Yilmaz in den Sinn. Ich mag sein Gesicht. Da ist alles drin, ohne dass er groß spielen muss. Er hat ein leises Gesicht, das laut schauen kann. Er ist perfekt in der Rolle des wütenden Künstlers. Ich schrieb für Mehmet ein Stück, das wie ein Maßanzug sitzt.

Verlief die Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Stückes weiter so eng?

Ein paar Mal saßen wir zu viert am Tisch, der Regisseur András Dömötör, der Dramaturg Daniel Richter, Mehmet und ich. Wir haben wir uns gut verstanden. András und ich waren beide sehr daran interessiert, wie man den Aufruhr eines Menschen, der seinem Regime gram ist, sichtbar machen kann.

Einen Aufruhr, der Ihnen selbst sicher nicht fremd ist. Zur Zeit des Aufbegehrens in Istanbul im vergangenen Jahr waren sie monatelang in der Türkei unterwegs.

Ja, und auf meiner Reise durch die Türkei dachte ich immer, wenn ich kurdische Künstler in Kurdistan traf: Merkt ihr gar nicht, wie verrückt das ist? Morgens im Unterricht Lehrer, die einen Eid auf die türkische Fahne geschworen haben, und ab Schulschluss im Widerstand. Aber so ist das in autoritären Regimes und Diktaturen. Das System bringt dich in einen Zwiespalt. Du willst leben und überleben, das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Der kurdische Künstler in meinem Stück beschreibt seinen Zwiespalt so: „Als Beamter darf ich die Wahrheit niemandem zumuten. Als Künstler darf ich die Wahrheit niemandem vorenthalten.“

Haben Sie nach Ihrer Rückkehr Deutschland mit anderen Augen gesehen?

Während meiner Reise war ich durch mein Schreiben jeden Tag mit Deutschland verbunden. Ich war also nie wirklich weg. Und habe Deutschland immer mit meinen Augen gesehen. Darauf beruht meine ganze berufliche Existenz, dass ich die Gesellschaft und ihr politisches Ringen mit meinen Augen sehe. Ich verlasse mich dabei ganz auf mich. Und ich schaue mir alles an. Alleine. Deshalb bin ich Freiberuflerin. Weil mich das Gerede in Konferenzen nervt, Anzeigenkunden nicht interessieren. Weil ich in Ruhe alles beschreiben will. Ich bin Publizistin geworden, weil meine Augen zwar nicht gut sehen, aber mein Verstand funktioniert bombe.

„Auf der Bühne verschwindet Mely, stattdessen spricht ein anderer“

Durch Ihre Augen: Inwieweit lässt sich die Geschichte Ihres Stückes auf andere Länder und Situationen übertragen?

In jeder Hinsicht. Aufruhr über die Verhältnisse ist in uns. Und Widerspruch auch. Und Wut und Zorn und Verzweiflung. Davon handelt mein Aufstand. Wie es dazu kommt, dass ein Mensch aufsteht.

Was macht einen freien Geist aus?

In meinem Stück spricht der Künstler von den Expressionisten. Dass sie blaue Pferde malten. Das ist ein freier Geist. Dass ein Maler ein Pferd blau denkt. Wenn du das kannst, dann bist du frei. Und gefährlich. Alles anders zu sehen, macht dich zum Dissidenten. Und das haben die Nazis begriffen und die Maler verjagt.

Welchen Umgang erhoffen Sie von Berliner Publikum mit dem Stück?

Dass die Zuschauer sehen, dass Mehmet Yilmaz alleine 75 Minuten lang auf der Bühne steht und spricht. Das ist Theater. Das ist höchste zivilisatorische Leistung. Ein Mensch spielt eine Geschichte. Jetzt werde ich schon wieder bekloppt vor Freude.