KOMMENTAR: BENNO SCHIRRMEISTER ÜBER ZAHNERSATZ-ERSATZ: Betrug als Notwehr
Nicht allzulange aufhalten sollte man sich mit Schadenfreude. Sicher: Es ist nicht ohne Ironie, dass einer wie Peter G. die Realität der Zweiklassenmedizin erleben muss.
Schließlich stammt er aus dem engeren Umfeld jener politischen Partei, die mit viel Energie dem deutschen Gesundheitssystem das Solidarprinzip auszutreiben versucht. Die Eheleute beziehen Arbeitslosengeld II – bis vor Kurzem arbeiteten sie jemandem zu, der Bedürftige pauschal als sozialschmarotzende Schnapsladengänger verunglimpfte. Nein, das Mitleid hält sich in Grenzen.
Aber eben: Jenseits von Ressentiments erinnert der Prozess gegen Peter G. daran, dass es jeden treffen kann. Und dabei ist letztlich kein Mensch der Richtige: Jeder hat ja das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Unmittelbar aus dem aber leitet sich das Recht auf eine angemessene medizinische Behandlung ab. Und was ist das? Getreu dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen besteht die angemessene Behandlung eines völlig ruinierten Gebisses im Verpassen einer Schrottprothese, die ihren Träger quält und sozial stigmatisiert. Der geprellte Dentist muss sich hüten, das zu bezweifeln. Denn damit würde er Peter G.’s recht offenkundigen Betrug legitimieren – als Notwehr.
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