Wem gehört die Stadt?
BERLIN Ohne Gemeineigentum keine blühende Szene: Auf einer Konferenz zur Kunstpolitik wird die Eigentumsfrage gestellt
Berlin steht ohne Hemd und Hosen da. Im Bezirk Mitte hat die Stadt inzwischen gut 85 Prozent ihrer Liegenschaften verkauft – lässt man Straßenland, Parks und öffentliche Einrichtungen außen vor. Den Verkauf der verbliebenen 15 Prozent sollten die Berliner nicht hinnehmen. Nicht in Mitte und auch nicht anderswo, wo noch Gemeineigentum an Grund, Boden und Gebäuden übrig geblieben ist, findet Arno Brandlhuber.
Der Architekt und Professor für Architektur und Stadtforschung beantwortet so die Frage: „Welche Kunstpolitik braucht die Stadt?“. Das seit den Achtzigern diskutierte Problem der Verbindung von Immobilienmarkt und Kunst mag anderswo exotisch klingen. In Berlin scheint es für viele auf fast schon brutale Weise ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt zu werden.
Deshalb drehte sich der dritte Teil der Konferenzreihe „Kunst Stadt Berlin“, die am Mittwoch von der Berliner Kunsthalle e. V. und der Heinrich Böll Stiftung organisiert wurde, um das Problem der schwindenden Lokalitäten und Handlungsspielräume für die 6.000 in Berlin wirkenden Künstler. Kultur werde von der Berliner Politik nur noch „runterdekliniert auf Touristen- und Bettenzahlen“, wird beklagt. Zuletzt habe die Stadt die öffentliche Förderung von 300 Stellen im Kulturmanagement eingespart, die vielen Institutionen nun fehlen. Das Scheitern der Berliner Kunstpolitik versteht aber nur, wer die „massiven Veränderungen in der Stadtstruktur“ in den Blick nimmt, die nicht nur Leonie Baumann, Rektorin der Kunsthochschule Berlin Weißensee, konstatiert.
Wo das Unerwartete stattfinden kann
Wenn den Städten die Luft ausgeht, betreffe das alle, die in ihnen leben, meint die Künstlerin und Kuratorin Andrea Knobloch. Sie fragt: „Wo sind die Räume, in denen das Unerwartete stattfinden kann?“ Knobloch bindet so das allgemeine Problem des Schwindens kommunaler Handlungsfähigkeit, das alle angeht, zurück an die partikuläre Frage, inwiefern die Kunst für sich noch ihre angestammte, autonome Position reklamieren kann.
Die Veräußerung von Gemeineigentum durch den seit gut zehn Jahren existierenden Liegenschaftsfonds im Auftrag Berlins sei kurzfristig auf Zinstilgung und Investorenfreundlichkeit angelegt, wird in einem Workshop zur Raumfrage analysiert. Der Fonds hat im vergangenen Jahr 533 Immobilien mit einer Gesamtfläche von 1,1 Millionen Quadratmetern verkauft. Darunter ein Gefängnis, Opernwerkstätten und eine Kita, in denen die Saudis die „König-Fahd-Akademie“ errichten wollen. Von den so erzielten 190 Millionen Euro Einnahmen wurden 156 Millionen an die Landeskasse weitergereicht. Die Senatoren für Finanzen und Wirtschaft freut das.
Zugleich verspielt der Senat mit dieser Politik fast alles, was Berlin ausmacht. Die Stadt lebt von ihrer bunten, hyperaktiven Kunst- und Musikszene. Die entwickelte sich seit 1989 so prächtig, weil es bezahlbaren Raum in der Innenstadt gab. Das ist vorbei. Die Stadt müsste in ihrem eigenen Interesse die Freiräume erhalten, die sie so attraktiv macht. Tut sie aber nicht.
Man könnte meinen, die Liegenschaftspolitik sei eine Frage, die im Berliner Wahlkampf ein Thema werden müsste. Das Parteiprogramm der Linken steht in eklatantem Widerspruch zur realen Politik des Senats. Sozialdemokratisch war es einst auch nicht gerade, Gemeineigentum zu privatisieren. Trotzdem kann die rot-rote Regierung wenn nicht auf die Zustimmung, dann doch auf das Stillschweigen einer ganz großen Koalition rechnen. CDU und FDP würden es genauso machen. Und die Grünen? Sie sind gegen den Ausverkauf, sagen es aus wahltaktischen Gründen aber nicht laut. Sie wollen nicht linker als die Roten dastehen.
Die Kommune als Projektentwickler
Dabei könnten sich die Berliner ein Beispiel an der Stadt Tübingen nehmen, meint Matthias Heyden vom Institut für Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung. Dort agiert die Kommune als Projektentwicklerin, die selbst Grund und Boden aufkauft, Nutzungen festlegt und dann an Investoren weitergibt. Mit den Gewinnen werde nicht nur die öffentliche Infrastruktur finanziert, man habe auch immer ein Wort mitzureden, was und wie gebaut wird. Arno Brandlhuber fordert daher, bei zukünftigen Verträgen mit Investoren in Berlin das Erbbaurecht zur Anwendung zu bringen. Werde ein Grundstück nur verpachtet, könne die Stadt verbindlich Bedingungen formulieren. Außerdem bleibe das betreffende Grundstück in öffentlicher Hand, wodurch Spekulationsgewinne deutlich geschmälert würden.
Es klingt daher so logisch wie kämpferisch, wenn Leonie Baumann am Ende eines langen Tages zum Schluss kommt, gegen den Stillstand der Berliner Kulturpolitik helfe nur noch ein breiter Zusammenschluss. Es sei an der Zeit, klare Forderungen zu formulieren. Baumann ist nicht die Einzige an diesem Mittwoch in Berlin, die deutlich macht, dass die Zeit des Konferierens vorbei sein muss. ULRICH GUTMAIR