piwik no script img

Archiv-Artikel

Die hohen Schulen der NSDAP

NS-REGIME In den Ordensburgen sollte der Mitarbeiterstab der Partei formiert werden. Franz Albert Heinen gibt erstmals einen Überblick über Funktion und Bauweise der Schulungsburgen

VON CHRISTIAN SEMLER

Das „Dritte Reich“ sollte tausend Jahre währen. Da galt es, rechtzeitig dafür Sorge zu tragen, dass das NS-Regime stets über gut ausgebildete, der NSDAP treu ergebene, also im Nazi-Sprachgebrauch „fanatische Führer und Kämpfer“ verfügte. Schon unmittelbar nach der „Machtergreifung“ wurden Pläne entwickelt, die schließlich im Konzept der „Ordensburgen“ mündeten.

Die nazistische Begeisterung für das angeblich heroische deutsche Mittelalter samt wehrhaften Ritterorden und Burgen stand Pate. Die aus einer Vielzahl von Bewerbern ausgewählten „Junker“, Männer Mitte 20 mit schon abgeschlossener Berufsausbildung, sollten hier mehrjährig gedrillt werden. Drei dieser Ordensburgen, Vogelsang in der Eifel, Sonthofen im Allgäu und Krössinsee im heute zu Polen gehörenden Hinterpommern, wurden während der dreißiger Jahre errichtet und nahmen ihre Arbeit auf. Die „Junker“, die die Ordensburgen absolviert hatten, sollten während des Zweiten Weltkriegs eine verhängnisvolle Rolle spielen.

Franz Albert Heinen hat mit einer Studie über diese drei Ordensburgen ein bislang vernachlässigtes historisches Feld beackert. Er hat penibel recherchiert und eine Unmenge von Material zusammengetragen, darunter zahlreiche aussagekräftige Fotos. Heinens Arbeit zeichnet sich durch eine mehrdimensionale Vorgehensweise aus. Er rekonstruiert zum einen die Baugeschichte der drei Ordensburgen und bringt sie systematisch in Zusammenhang mit den politischen Ereignissen. Er dokumentiert zum Zweiten die Ausbildung der „Junker“ selbst und verfolgt drittens die Geschichte ihres Einsatzes während des Krieges. Schließlich handelt er vom Schicksal der Bauwerke nach dem Zweiten Weltkrieg bis auf den heutigen Tag. Der Band ist sehr gut lesbar und auch ohne große Vorkenntnisse der nazistischen Erziehungspolitik verständlich.

Clemens Klotz, der Architekt der Ordensburg Vogelsang, verkörpert idealtypisch den Karrieristen, der sich den Nazis andiente. Schon vor 1933 leitete er ein Architekturbüro in Köln. Damals machte er die Bekanntschaft eines führenden Nazi-Bonzen, Dr. Robert Ley, der ihm nach 1933 als Chef der deutschen Arbeitsfront lukrative Aufträge zuschanzte, so Vogelsang, und später den monströsen Kraft-durch-Freude- Hotelkomplex Prora auf Rügen. Heinen arbeitet die pathetisch-gewalttätige Wirkung heraus, die von dem turmbewehrten, mit „Thingplatz“, Gemeinschaftshaus, Sommersonnenwende-Versammlungsplatz und monumentaler Plastik ausgestalteten Gebäudekomplex ausging.

Theo Sommers Lehrjahre

Der Autor analysiert die Lehrpläne und rückt manche verharmlosende Erinnerungen ehemaliger Junker zurecht. „Rassenkunde“ war nach Heinen zentraler Lehrstoff, „Volksgemeinschaft“ wurde anhand von Hitlers „Mein Kampf“ geschult, Geschichtsunterricht diente der Rechtfertigung der deutschen Eroberungspolitik. Der Dienst in der Hitlerjugend, die Feierstunden, die paramilitärischen Übungen flankierten ideologisch die nazistische „Bearbeitung“ der Junker. Instruktiv ist auch das Kapitel über die Adolf-Hitler-Schulen, die freilich nicht über ein embryonales Stadium hinauskamen.

In der Ordensburg Sonthofen, in der eine dieser Schulen untergebracht war, mischte sich krasse Unterordnung und Indoktrination der Schüler mit Elementen der Reformpädagogik aus der Weimarer Zeit. Also kein Sitzenbleiben, kein Frontalunterricht, Schülerselbstverwaltung. Manch ein Adolf-Hitler-Schüler entwickelte sich im Nachkriegsdeutschland zum liberalen Demokraten – zum Beispiel Theo Sommer, ehemals Chefredakteur der Zeit.

Heinen weist nach, wie tief die Burgmannschaften der Ordensburgen in die Vernichtungspolitik der Nazis und den Mord an den Juden verwickelt waren. Viele von ihnen wurden zu „Gebietskommissaren“ innerhalb der Reichskommissariate, die aus den besetzten Ostgebieten gebildet worden waren. Entgegen der nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellten Behauptung, die Gebietskommissare seien nur unpolitische Verwaltungsbeamte gewesen, zeigt Heinen ihre Rolle bei der Ghettoisierung der Juden, ihrer „Selektion“ sowie der Pressung der Bevölkerung der besetzten Gebiete zur Zwangsarbeit. Die ehemaligen Junker und Gebietskommissare konnten sich nach 1945 fast immer der Justiz entziehen oder wurden nur zu geringen Strafen verurteilt.

Franz Albert Heinen: „NS-Ordensburgen. Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee“. Ch. Links Verlag, Berlin 2011, 216 Seiten, 34,90 Euro