: Spurensuche mit blinden Flecken
Das Hannoversche Sprengel Museum hat zum 70. Jahrestag der seinerzeit von den Nazis organisierten Münchner Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ einen dezenten Parcours durch die Sammlung Klassische Moderne konzipiert. Das größte Problem dabei: das von den Nazis intendierte Getto aufzuzeigen, ohne es zu wiederholen. Die Kuratoren lösen es dezent
VON PETRA SCHELLEN
Eine solche Schau ist nötig, und sie ist schwierig. Genau dieses Dilemma offenbart der Parcours im Hannoverschen Sprengel-Museum, der – zu deren 70. Jahrestag – an die Münchner Aktion „Entartete Kunst“ erinnert. „Auf Spurensuche“ haben sich die Hannoverschen Kuratoren begeben, wie sie es dezent formulieren. Sie haben akribisch recherchiert, welche Werke aus Hannover damals in München gezeigt oder – gemeinsam mit rund 16.000 weiteren Werken der deutschen Avantgarde – beschlagnahmt wurden.
Das Problem einer solchen Präsentation: Sie versucht, die von den Nazis betriebene Gettobildung aufzuzeigen, ohne sie zu wiederholen. Will heißen: Man kann eine solche Ausstellung – und genau das hat man in Hannover getan – einzig als Parcours durch die Sammlung konzipieren. Und man muss akzeptieren, dass eine solche Schau der Münchner Präsentation aus dem Jahr 1937 allenfalls ähnelt und konzeptionell nicht stringent sein kann. Denn etliche der rund 600 damals in München ausgestellten Werke sind nach wie vor verschollen. Hier muss man sich mit theoretischen Hinweisen begnügen und manchmal auch leicht verkrampft nach ähnlichen Bildern suchen.
Eine Spurensuche mit etlichen blinden Flecken also, die aber trotzdem lohnend ist. Denn herausgekommen ist das einzig Mögliche: eine Mixtur aus damals beschlagnahmten, später zurückgekauften Bildern – El Lissitzkys „Proun“ und Ernst Ludwig Kirchners „Kranker in der Nacht“ – , Otto Muellers 1937 in München tatsächlich gezeigtes „Liebespaar“ sowie Werken weiterer verfemter Künstler.
Manchmal sehen die Hannoverschen Exponate den damals beschlagnahmten Werken ähnlich, manchmal nicht, und dies offenbart das konzeptionelle Problem des Projekts. Denn das Thema ist zu komplex, als dass es sich griffig darstellen ließe. Auch haben die Ausstellungsmacher Bilder integriert, in denen sich die Künstler mit dem Nazi-Regime befassen; mit der Feme-Aktion der Nazis haben diese Bilder aber teils nichts zu tun. Paul Klees „Tragodia“ etwa, ein Spiel mit Hakenkreuzen, und Max Beckmanns beklemmendes „Bad im August“, das im niederländischen Exil entstand, sind so Teil des Parcours geworden.
Max Ernsts „Vogel im Wald“ zu zeigen ist dagegen konsequent, wurden seine sehr ähnlichen – „Muschelblumen“ doch 1937 in München gezeigt. Und wer mag, kann das 1927 gemalte Bild als Vorahnung des Krieges deuten.
Doch trotz all dieser interessanten Facetten schlingert die Schau ein wenig. Sie zeigt von allem ein bisschen und hat sich nicht entschieden, ob sie nicht nur Schicksale von Bildern und Künstlern aufzeigen, sondern auch künstlerische Auseinandersetzung mit Nazi-Terror und Krieg sein will.
Andererseits hat gerade diese Unvollkommenheit ihren Reiz: Wie „Stolpersteine“ sind die „1937“-Marken neben die ausgewählten Bilder der „Klassischen Moderne“ gehängt. Ein Prozedere, das nicht nur das „Aussortieren“ der deutschen Juden, sondern auch von Kunstwerken spiegelt. Auch auf die Willkür bei der Definition „entarteter“ Kunst verweist der Hannoversche Rundgang. Rudolf Edwin Belling etwa war sowohl in der „Entarteten Kunst“ als auch – mit einer Plastik des Vorzeigesportlers Max Schmeling – in der parallelen „Großen Deutschen Kunstausstellung“ der Nazis zu sehen. Die Macher hatten es zunächst nicht bemerkt; eilig entfernte man dann Bellings hölzernen „Dreiklang“ aus der Feme-Schau. Hannover präsentiert einen Bronzeabguss.
Wenn auch die Avantgarde den Nazis grundsätzlich als „krankhaft“ galt, waren sich deren Vordenker bezüglich der zu diffamierenden Ästhetik keineswegs einig: Während Goebbels den Expressionismus als Staatskunst vereinnahmen wollte, lehnte Hitler dies ab. Umstritten war etwa Franz Marc, dessen „Turm der Blauen Pferde“ nach öffentlichen Protesten aus der „Entarteten Kunst“ entfernt wurde. Hannover zeigt Marcs „Katze unterm Baum“. Farbliche und motivische Ähnlichkeit ist einziges Bindeglied zur Münchner Schau.
Unmittelbar auf den Spuren der Kunst-Konfiszierer wandelt dagegen, wer sich in El Lissitzkys „Kabinett der Abstrakten“ bewegt, das der Künstler 1928 in der Kestner Gesellschaft geschaffen hatte. Die Nazis zerstörten es komplett. 1960 wurde es im Sprengel Museum wiederaufgebaut. Dies wissend, sieht man schärfer hin – wenn auch die Begleitbroschüre solche Umverteilungen zwischen Hannoverschen Museen gern hätte aufdröseln können.
Doch abgesehen von solchen Unsauberkeiten in Recherche und Vermittlung präsentiert sich die Schau als unaufgeregter Rundgang, der weit mehr als den Blick zurück bietet. Denn wer war, wer ist Herrscher über Ästhetik, über künstlerische Normen? Und was fruchtet der Versuch, bestimmte Perspektiven zu erzwingen? Auf den ersten Blick viel, generierte die „Entartet“-Schau doch rund drei Millionen Besucher. Schaut man genauer, zeigt sich, dass etliche dies als Chance sahen, ein breites Spektrum moderner Kunst zu goutieren. Das Hannoversche Ehepaar Sprengel etwa, Leihgeber des gleichnamigen Museums, entdeckte dort seine Liebe zur Moderne und zu Emil Nolde, den sie bald juristisch und finanziell unterstützten.
„Hannover hat einen überproportional hohen Anteil an Werken zu der Münchner Feme-Schau beigesteuert“, sagt Ausstellungsmacherin Isabelle Schwarz. 20 Gemälde seien aus Hannoverschen Sammlungen gekommen, und das aus gutem Grund: Vor 1933 war Hannover ein Zentrum moderner Kunst, hatte sich dort doch 1916 – in Opposition zur konservativen städtischen Kulturpolitik – die Kestner Gesellschaft und 1919 die „Hannoversche Secession“ gegründet. Alexander Dorner, bis 1937 Leiter des Hannoverschen Provinzialmuseums, später auch der Kestner-Gesellschaft, verfolgte bis 1930 eine avantgardefreundliche Ankaufspolitik. 1937 wurde er allerdings entlassen und emigrierte in die USA.
Details, die Hannover keineswegs provinziell erscheinen lassen und die „Spurensuche“ des Sprengel Museums auch unter lokalhistorischen Aspekten rechtfertigen. Abgesehen davon provoziert die Ausstellung durchaus zeitgemäße Reflexionen: Zwar ist das Problem, das die Nazi zu generieren versuchten – die Diffamierung moderner Kunst als geistesgestört – nicht mehr virulent. Die von ihnen gleichfalls propagierte Idee aber, dass moderne Kunst unnötig teuer sei – die vorinflationären horrenden Summen hatte man bewusst dazugeschrieben –, ist bis heute Bestandteil bürgerlichen Denkens.
Auch der Klassifizierungsgedanke ist nicht begraben. Denn zwar gibt es einen Roger Buergel und die documenta 12, die Kunst aller Kontinente gleichberechtigt präsentiert. Zwar gibt es in Paris das Musée du Quai Branly, das Werke aus Afrika, Amerika, Ozeanien und Asien nicht als Folklore, sondern als ernst zu nehmende Kunst präsentiert.
Doch dies sind Ausnahmen. Im Grunde gilt – und das zeigen am deutlichsten die Preise – westeuropäisch-amerikanische oder ihr nahe kommende Kunst immer noch als innovativ und latent überlegen. Das können auch die Hymnen auf den Charme der Peripherie nicht kaschieren.
„1937. Auf Spurensuche – Zur Erinnerung an die Aktion ,Entartete Kunst‘ ist bis 30.12. im Hannoverschen Sprengel Museum zu sehen.