: Von rechtem Gewaltausbruch total überrascht
EXTREMISMUS Norwegens Verfassungsschutz war auf islamistischen Terror konzentriert. Fortschrittspartei: Keine indirekte Verantwortung für Attentat
STOCKHOLM taz | „Die rechts- und linksextremen Milieus werden auch 2011 keine ernsthafte Gefahr für die norwegische Gesellschaft darstellen“, behauptete der norwegische Verfassungsschutz PST in seinem letzten Bericht. Grund zur Beunruhigung für die Zukunft sah der PST aber durchaus: Möglich sei, dass sich Kontakte der Szene zu kriminellen Kreisen verstärken würden, die ihr den Zugang zu Waffen erleichtern und die Gewaltbereitschaft steigern könnten, und eine zunehmende Verknüpfung dieser Gruppen auf europäischer Ebene.
Anders Behring Breivik konnte seine beiden Anschläge offenbar ganz ohne fremde Hilfe in die Tat umsetzen. Ein norwegischer Gewalttäter mit rechtsextremen Motiven, das sei „völlig überraschend“ gewesen, sagt Kristian Berg Harpviken, Direktor Friedensforschungsinstituts PRIO und Terrorforschungsexperte. Natürlich habe auch er nach der Bombenmeldung „zunächst an internationalen islamischen Terrorismus gedacht“. Diese Gruppierungen habe der PST in den letzten Jahren fokussiert, nicht die Neonaziszene.
Die letzte aufsehenerregende rassistische Gewalttat hatte es in Norwegen 2001 gegeben. Mitgleider der militanten Neonazigruppe BootBoys hatten den 15-jährigen Benjamin Hermansen erstochen: wegen seiner Hautfarbe und weil er sich öffentlich gegen rassistische Angriffe zur Wehr gesetzt hatte. Der bei den Sozialdemokraten aktive Rechtsanwalt Geir Lippestad hatte einen der verurteilten Mörder Hermansons verteidigt. Breivik wählte Lippestad nun zu seinem Verteidiger.
Auch wenn es keine Verbindung zwischen Breivik und rechtsextremen Organisationen gebe, sei dieser kein „verrückter Einzeltäter“, sagt Daniel Poohl von der schwedischen antirassistischen Publikation Expo. Er sei in einem spezifischen parteipolitischem Umfeld und in nationalistischen und islamfeindlichen Internetforen radikalisiert worden. Nach eigenen Aussagen bereitete Breivik schon seit 2002 einen Anschlag vor. Damals war er noch aktives Mitglied der rechtspopulistischen „Fortschrittspartei“, die mit ihrer einwanderungskritischen Botschaft bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren auf 22,9 Prozent der Stimmen kam.
Nun wird in Norwegen über deren Rolle bei der Sozialisierung des Attentäters diskutiert. Die „Fortschrittspartei“-Chefin Siv Jensen wies die Vorwürfe zurück, dass ihre Partei indirekt für den Anschlag verantwortlich sei. In einer TV-Debatte am Samstagabend erklärte sie, dass die Gefahr einer Radikalisierung verringert werde, wenn in der Öffentlichkeit Themen diskutiert werden, die offenbar weite Teile der Bevölkerung bewegen. Sie gestand aber zu, künftig zurückhaltender mit Botschaften zu sein, die „missverstanden“ werden könnten. REINHARD WOLFF