Hannoveraner gegen Hannoveraner

HEIMNIEDERLAGE Bei Hannover 96 überlagert der Konflikt zwischen Ultras und Präsidium das Sportliche

Wenn die Ultras „Kind raus“ rufen, werden sie von anderen Fans ausgepiffen

Weil Martin Kind als Präsident von Hannover 96 im eigenen Stadion hart durchgreift und Gewalt, Pyrotechnik sowie unbelehrbare Krawallmacher als unerwünscht einstuft, muss er sich immer wieder Anfeindungen gefallen lassen. Das Heimspiel gegen Bayer Leverkusen, das am Ende mit 1:3 verloren ging, plätscherte zunächst arm an Höhepunkten so dahin. Ab der 30. Spielminute ging der Blödsinn wieder einmal los. „Kind muss weg, Kind muss weg“, rief dann jener Teil der Zuschauer, der eigentlich Fan von Hannover 96 sein will, sich aber nicht dementsprechend benimmt. Der 96-Elf halfen die destruktiven Töne jedenfalls nicht gerade dabei, sich gegen die Heimniederlage zu stemmen.

Die Stimmung im Stadion von Hannover 96 – und das hat nichts mit dem Rückschlag am 12. Spieltag zu tun – war schon einmal deutlich besser. Die Mannschaft von Trainer Tayfun Korkut spielt überwiegend zweckorientiert, was nicht wirklich schön anzusehen ist. Dazu kommt, dass der Großteil der Ultras die Heimspiele der Profimannschaft entweder vollkommen boykottiert oder in erster Linie ins Stadion geht, um die erwähnten Schmähgesänge anzustimmen.

Es ist schade, dass angesichts dieser Rahmenbedingungen in Vergessenheit gerät, wie erfolgreich Hannover 96 in dieser Saison bisher gespielt hat. Auch wenn die Korkut-Elf gegen Leverkusen chancenlos blieb: Sie ist immerhin meilenweit von den Abstiegsrängen der Fußball-Bundesliga entfernt und hätte mehr Wertschätzung sowie positive Stimmung im eigenen Stadion verdient.

Die Niederlage gegen den Favoriten aus Leverkusen, für den Stefan Kießling (46. Minute), Heung-Min Son (58.) und Karim Bellarabi (71.) die Tore erzielten, war erst die zweite in der laufenden Spielzeit. Sie zeigte Hannover 96 die Grenzen auf und gab die Antwort auf die Frage, ob Korkut aus den Niedersachsen tatsächlich eine Spitzenmannschaft gemacht hat: Hat er nicht. Wie schon bei der 0:3-Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach hat es das 96-Team nicht geschafft, das eigene Spielsystem durchzusetzen. „Leverkusen hat 90 Minuten lang Pressing gespielt, das ist schon gut. Das muss man akzeptieren“, gestand der dreifach geschlagene Torhüter Ron-Robert Zieler neidlos ein.

Der Nationalspieler und die Fans von Hannover 96 können dennoch zwei Dinge positiv in Erinnerung behalten: Neuzugang Ceyhun Gülselam, der mit seiner nüchternen Spielweise bisher einen schweren Stand bei den Fans hat und auch von der Ausstrahlung her nicht gerade zum Liebling der Massen taugt, erzielte mit dem Tor zum 1:3 (60.) seinen ersten Bundesligatreffer. Und noch wichtiger dürfte sein: Das ganz normale Publikum lässt die „Kind raus“-Rufe nicht einfach so durchs Stadion hallen, sondern quittiert sie konsequent mit Pfiffen. Im Grunde sind solche Reaktionen am Ende deutlich wichtiger als irgendein Ergebnis aus irgendeinem Heimspiel.  CHRISTIAN OTTO