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Archiv-Artikel

Beruf: Verschwörungstheoretiker

BESTSELLER Exwrestler und Expolitiker Jesse Ventura präsentiert zum Jubiläum des 11. September krude Theorien zu Anschlägen der letzten 150 Jahre in den USA

Jesse Ventura ist eine schillernde Figur. Sein Werdegang ist von der Suche nach dem Rampenlicht geprägt. Vielleicht nicht am Anfang, als er Taucher bei der US-Marine war, aber mit Sicherheit später als professioneller Wrestler, Filmschauspieler und nicht zuletzt als parteiunabhängiger Gouverneur des US-Bundesstaats Minnesota.

Seit Dezember 2009 hat Ventura einen neuen Job als hauptamtlicher Verschwörungstheoretiker mit eigener Fernsehshow – „Conspiracy Theory with Jesse Ventura“ – bei einem Sender mit dem verheißungsvollen Titel truTV. Die Sendung läuft gut, was liegt näher, als das Thema auch noch als Buch zu verwursten? Mit dem Journalisten Dick Russel hat Ventura seine Verschwörungstheorien aufgeschrieben. In den USA wurde das Buch millionenfach verkauft.

Ventura hat schon einige, ähnlich um Aufklärung bemühte Bücher geschrieben, die nicht von einem deutschen Verleger publiziert wurden. Mit „Die amerikanische Verschwörung – 9/11 und andere Lügen“ ist im Heyne Verlag nun erstmalig eines seiner Bücher auf Deutsch erschienen. Viele der offiziellen Erklärungen für Attentate und Anschläge der letzten 150 Jahre, wie sie in amerikanischen Schulbüchern stehen, stellt Ventura in Frage.

So einfach geht das?

Ventura zerpflückt die Einzeltäterversionen zu den Morden an Abraham Lincoln, John F. Kennedy und Martin Luther King. Er untersucht die Verstrickungen der CIA. Auch beleuchtet er die seltsamen Vorgänge, die bei den Präsidentschaftswahlen in den Jahren 2000 und 2004 zu den Siegen von George W. Bush führten. Gruselig, aber nicht unglaubwürdig sind seine Theorien über die Wahlcomputer, die von Republikaner-freundlichen Firmen hergestellt und zu Bushs Vorteil manipuliert worden sein sollen. So einfach geht das?

Bei der Suche nach der Wahrheit scheute Ventura nicht die Gefahr. So reiste er beispielsweise als Gouverneur und gegen den Willen seines damaligen Präsident George W. Bush nach Kuba. Er wollte Fidel Castro treffen und erfahren, wer hinter dem Attentat auf John F. Kennedy wirklich steckt. Übermäßig erhellende Erkenntnisse lieferte Castro nicht. Immerhin konnte Ventura enthüllen, dass der Revolutionsführer passabel Englisch verstehen muss.

Nach einem Besuch in Dallas, wo Ventura ebenfalls zum Anschlag auf Kennedy recherchierte, wurde er gar von einem Polizisten, mit dem er zuvor eine geraucht hatte, beiseitegenommen: „Seien Sie vorsichtig, Gouverneur. Sie sind ein bekannter Mann. Es könnte Ihnen einfallen, Dinge zu sagen, von denen bestimmte Leute nicht wollen, dass sie ans Licht kommen.“ Alles Wichtigtuereien oder reale Bedrohung? Wir erfahren es nicht.

Ventura widmet sich auch den Terrorangriffen am 11. September und enthüllt interessante Details zu den Flugzeugentführern. Locker über das Ziel hinaus schießt er mit seiner Version, dass Sprengstoffexplosionen und nicht die abstürzenden Flugzeuge den Zusammensturz der Zwillingstürme verursacht haben sollen.

Venturas Dilemma besteht darin, dass Verschwörungstheorien naturgemäß schwer zu beweisen sind. Das weiß er selbst. Was das Buch so bestsellertauglich macht, ist die Vielzahl angeblicher Ungereimtheiten, die er aufzeigt. Wenn Ventura seine grundsätzlichen Zweifel an der Politik beschreibt – „Ich begegne im Augenblick allem, was offiziell von der Regierung verlautbart wird, mit Skepsis. Sie sagt uns nicht die ganze Wahrheit“ – dann wird er wohl auch hierzulande auf Zustimmung stoßen.

KERSTIN CARLSTEDT