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Archiv-Artikel

Kultur des Anschwärzens

PROZESS Weil er einen Nachbarn wahrheitswidrig beim Jugendamt bezichtigt hat, ein Kind halb zu Tode zu prügeln, steht Philipp R. jetzt vorm Amtsgericht

Von BES
Wenn Philipp R. einen Anwalt hätte, dann hätte der ihm wohl gesagt, dass jetzt ein Geständnis günstig wäre. Er hat aber keinen.

Wenn Philipp R. schlau wäre, hätte er den Strafbefehl wegen falscher Verdächtigung akzeptiert. Aber schlau, nein, das Wort passt nicht auf Philipp R., sodass am Montag die Hauptverhandlung vorm Amtsgericht gegen ihn begonnen hat. Am Ende wird er also auch noch die Gerichtskosten übernehmen müssen, von zwei Verhandlungstagen.

Der eine Zeuge weilt nämlich noch in Urlaub bis Anfang August. Und nur der Sozialamtsmitarbeiter kann konkretisieren, wie genau Philipp R. seinen Nachbarn, einen Rentner, diffamiert hat. Ja, wenn Philipp R. einen Anwalt hätte, dann hätte der ihm wohl gesagt, dass jetzt ein Geständnis günstig wäre.

Er hat aber keinen. Und so motzt der Angeklagte nur, dass er’s schon „echt merkwürdig“ finde, dass seine Person bekannt geworden sei, und man seine Aussage weitergeleitet habe. Obwohl er doch den eigenen Namen extra nicht genannt hatte, als er den Herrn B. anschwärzte, der damals unter ihm wohnte, telefonisch, beim Jugendamt, „das sich in diesem Staat doch eigentlich um misshandelte Kinder kümmern sollte“.

Philipp R. trägt eine Harrington-Jacke von Pitbull, die Haare im Undercut, und jetzt sagt er eben gar nichts mehr. Das ist sein gutes Recht. Er hätte sich darauf vorher besinnen sollen: Dass er, wie im Polizeiprotokoll steht, den 69-Jährigen aus der Wohnung über ihm bezichtigt hat, er „halte sich seit Jahren eine Behinderte mit Kind“, bestreitet er. Daran, den Rentner bei der Vernehmung als „psychisch Gestörten“ bezeichnet zu haben, „der regelmäßig das Kind fast zu Tode prügelt“, gibt er vor, keine Erinnerung mehr zu haben. „Das ist ja so lange her“, sagt der 27-Jährige. Die Vernehmung fand im Januar statt, beim Jugendamt angerufen hatte der junge Mann Mitte Dezember 2010 – ein zügiges Verfahren. Dem Richter fällt schwer, an den Gedächtnisschwund zu glauben. Man könne ja „den Wortlaut schon mal vergessen“, räumt er ein. „Aber doch nicht solche Vorwürfe.“

Perfide: B., früher Gastwirt, hatte sich tatsächlich um eine junge Frau mit Rückenleiden gekümmert. „Gewohnt hat sie bei mir nie“, sagt er. Aber im Sommer kam manchmal das Kind vorbei, weil im Garten der Wohnanlage ein Planschbecken stand. Auch hatte er ihr bei der Wohnungseinrichtung geholfen, und Behördengänge für sie erledigt. Allerdings war sie im Frühjahr 2010 nach Wilhelmshaven umgesiedelt. „Ich habe sie da einmal besucht“, sagt der Rentner, „wegen des Kindes.“ Sie selbst war seither nicht mehr da.

Aber als sich der Rentner im September schließlich darüber beschwert, dass Philipp R. seine Trainingshanteln nachts auf den Boden donnerte, regelmäßig, immer wieder, da fiel sie ihm wieder ein. „Warum sollte ich das denn gemacht haben“, raunzt der Teilzeitamnesiker, der inzwischen umgezogen ist, den Ex-Nachbarn im Zeugenstand an. „Woher soll ich das wissen?“, antwortet der. „Manche behaupten ja, Sie seien geistig nicht ganz klar.“ BES

Fortsetzung: 4.8., 13.30 Uhr, Zi.351