: Der Kampfbegriff
TERRORISMUS Der Begriff wird fast nur noch für dschihadistische Attentate benutzt. Eine internationale Definition gibt es nicht
VON ANDREAS ZUMACH
In den ersten 24 Stunden nach den Anschlägen in Norwegen fabulierten die sogenannten „Terrorismusexperten“ aller deutschen Fernsehsender über einen islamistischen Hintergrund dieses Verbrechens und über Verbindungen des Täters in die skandinavische Al-Qaida-Szene. Seit sich diese „Expertisen“ als „Größtmöglich Anzunehmender Unsinn“ (taz vom 25. 7. 2011) erwiesen haben und klar ist, dass Anders Behring Breivik seinen Massenmord im „Widerstandskampf gegen die Islamisierung Europas, den Multikulturalismus und den Marxismus“ begangen hat, ist der Terrorismusbegriff aus der Berichterstattung über das Verbrechen schnell wieder verschwunden.
Auch die 1980 verübten mörderischen Anschläge von Neofaschisten, Rechtsextremisten und Ausländerfeinden auf Flüchtlingsunterkünfte in Hoyerswerda, Mölln, Solingen und anderen deutschen Städten Anfang der 1990er Jahre wurden nicht als „Terrorismus“ bezeichnet.
Erklären lässt sich diese Einäugigkeit durch die Bedeutungsänderung des Phänomens Terrorismus während der vergangenen knapp 2.000 Jahre. Historiker datieren die Anfänge des Terrorismus auf etwa das Jahr 70 nach Christi Geburt. Damals verübten die Sikarier, Assassinen und andere Gruppierungen politische Morde, um Schrecken zu verbreiten. Die Sikarier töteten Einzelpersonen in Menschenmengen mit Hilfe eines unter dem Mantel versteckten Dolches.
Offiziell benutzt wurde der Begriff „Terrorismus“ beziehungsweise „regime de la terreur“ erstmals Ende des 18. Jahrhunderts von den Jakobinern. Sie bezeichneten damit ihre Maßnahmen zur Durchsetzung von Ordnung und Sicherheit im Anschluss an die Französische Revolution und zur Stabilisierung des neu geschaffenen Gesellschaftssystems. Doch im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten sich neue Formen des Terrorismus. Zunächst im Zusammenhang von Bewegungen zur politischen Emanzipation, Selbstbestimmung oder Sezession von den neu entstandenen Nationalstaaten in Europa – zum Beispiel die baskische ETA in Spanien oder die IRA in Nordirland.
Ab Ende der 1960er Jahre entstanden Gruppierungen wie die RAF in Deutschland oder die Brigate Rosse in Italien, die sich als linksrevolutionär definierten und den Umsturz des politischen Systems mit gewaltsamen Mitteln herbeiführen wollten. Zugleich setzte die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO) unter Jassir Arafat im Kampf gegen die israelische Besatzungsmacht zunehmend auf Anschläge, Flugzeugentführungen und andere, damals vor allem von westlichen Regierungen als „Terrorismus“ verurteilte Gewaltakte.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der Terrorismus eine globale Dimension und der Begriff wird in Politik und Medien fast ausschließlich im Zusammenhang mit Gewalttaten islamistisch-fundamentalistischer Gruppierungen benutzt. Unter Führung der USA findet seit zehn Jahren ein globaler sogenannter „Krieg gegen den Terrorismus“ statt. Zu den Mitteln dieses Krieges gehören unter anderem Folter, Entführungen, extralegale Hinrichtungen, die jahrelange Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren sowie andere schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte.
Das alles geschieht, obwohl es nach wie vor keine international anerkannte, völkerrechtlich bindende Terrorismusdefinition gibt. Ob Gewalttaten von Befreiungsbewegungen und gegen völkerrechtswidrige Besatzungsmächte und ob „Staatsterrorismus“ in die Definition aufgenommen werden soll, ist unter den 193 UNO-Staaten weiterhin umstritten.
Terrorismus bleibt ein politischer Kampfbegriff. Und daher ist es auch eine politische Entscheidung, ob man das Verbrechen von Anders Behring Breivik als Terrorismus einstuft oder nicht.