: „Wir müssen die Terroristen lieben“
Der tunesische Regisseur Nouri Bouzid erzählt in dem Spielfilm „Making off“, wie radikale Islamisten Jugendliche zu Attentätern machen. Und warum manche junge Muslime die Idee der Gewalt attraktiv finden
NOURI BOUZID ist einer der bekanntesten Filmregisseure Tunesiens. Er wurde 1946 in der Stadt Sfax geboren und arbeitete nach seinem Regiestudium in Brüssel für das tunesische Fernsehen. Von 1973 bis 1979 saß er aus politischen Gründen im Gefängnis. Seine Filme sorgen oft für Kontroversen. 2004 schilderte „Puppen aus Ton“ die Lage tunesischer Hausmädchen. „Making off“ gewann 2006 den Preis des Filmfestivals Karthago.
taz: Herr Bouzid, Ihr Film „Making off“ erzählt die Geschichte eines jungen tunesischen Breakdancers, der zum Selbstmörder wird. Was treibt arabische Jugendliche dazu, Terrorist zu werden?
Nouri Bouzid: Ich habe in Vorbereitung des Films Reden Bin Ladens studiert. Bin Laden sagt: „Wir müssen diese Jugendlichen anwerben, wenn sie sich in einer verzweifelten Situation befinden oder in Gefahr sind. Und wir müssen sie anwerben, bevor sie heiraten, damit sie nicht gebunden sind.“ Es gibt also innere Gründe, Scheitern, Verzweiflung, die Unmöglichkeit, ins Ausland zu gehen. Mein Protagonist will Tänzer werden, aber er schafft dies nicht. Hinzu kommen äußere Faktoren, wie der Irakkrieg oder Palästina.
Die Figur in „Making off“ sprengt sich am Ende in einem tunesischen Hafen in die Luft. Warum?
Der Hafen ist der Ort, von dem die Flucht ins Ausland möglich ist. Das ist es, was er eigentlich will. Er stirbt allein, und ich wollte, dass er das Mitgefühl des Publikums hat. Er ist bis zuletzt Opfer, und zwar das einzige Opfer seiner Tat. Denn er weigert sich, zum Mörder zu werden.
Ist das typisch?
Ja, durchaus. Bei Diskussionen über den Film habe ich mit fünf Jugendlichen gesprochen. Sie sagten: „Dieser Film, das ist meine Geschichte. Ich war bereit zu gehen, doch plötzlich habe ich gezögert und Angst bekommen.“ Die Medien berichten nicht über die Jugendlichen, die sich weigern, sondern nur über die tatsächlich verübten Anschläge. Aber die Zahl der Verweigerer ist zehn- oder zwanzigmal höher. Mein Ziel war es, ein Beispiel zu geben, jemanden zu zeigen, der sich weigert, zum Mörder zu werden.
Warum finden viele Jugendliche die Idee, zu töten und zu sterben, attraktiv?
Ich glaube, wir alle sind dafür verantwortlich. Die Polizei, die familiäre Struktur, das Ausbildungssystem, der Mangel an Freiheiten. Wir haben diese Attentäter vorbereitet – die Islamisten haben sie „gepflückt“. Die Islamisten könnten ja nichts machen, wenn der Jugendliche nicht bereit wäre. Ich glaube, dass wir Mitgefühl mit diesen Jugendlichen haben sollten. Denn im Gegensatz zum westlichen Blick auf den Kampf gegen den Terror müssen wir ihnen mit Liebe begegnen, um sie zu retten. Unser Kampf gegen den Terror besteht nicht nur darin, Attentate zu verhindern – wir müssen verhindern, dass Terroristen geboren werden. Wir müssen sie vor dem Anschlag retten. Wir müssen ihnen einen Teil des Paradieses auf Erden geben, damit sie nicht davon träumen, sich für ein verlorenes Paradies zu opfern.
Haben Sie bei der Recherche mit radikalen Islamisten in Tunesien gesprochen?
Nicht in Tunesien, aber in Belgien und Marokko, bevor sie dort verboten wurden, also vor den Anschlägen in London. So habe ich verstanden, wie diese Jugendlichen angeworben und nach Afghanistan geschickt werden. Die meisten haben studiert oder waren nach Belgien gekommen, um zu studieren. Die Extremisten werben Jugendliche an, die im Gefängnis waren oder mit Drogen zu tun hatten. Man hat mir in Belgien erzählt, dass die Islamisten den Familien zehntausend Dollar für diese Jugendlichen geben. Und die Familien freuen sich, weil sie die Jugendlichen, die eine Schande für die Familie geworden sind, loswerden.
Welche Rolle spielt Religion?
Eine gewaltige. Und vor allem die Kritik des Westens daran. Denn es gibt keinen Muslim – ich eingeschlossen, obgleich ich Atheist bin –, der Kritik am Islam von den Christen akzeptiert. Der Islam ist meine Kultur und meine Persönlichkeit. Warum beleidigen sie den Islam und nicht das Christentum?
Kritik und Beleidigung sind unterschiedliche Dinge.
Ich meine, die Kritik dessen, was heilig ist. Wenn Sie als Christin dabei helfen wollen, dass der Islam aus seiner Krise kommt, dann kritisieren Sie ihn nicht. Ermutigen Sie die Muslime, ihn zu kritisieren. Das ist etwas anderes.
Sie meinen, Christen dürfen den Koran nicht kritisieren?
Ja, genau. Ich erlaube mir auch nicht, die jüdische Religion zu kritisieren.
Ist es denn erlaubt, den Umgang der Muslime mit ihrer Religion zu kritisieren?
Ja, wenn es auf vernünftige Weise geschieht. Die Mohammed-Karikaturen waren bestimmt ein Ausdruck der Freiheit. Bestimmt haben jene, die sie verteidigt haben, die Ausdrucksfreiheit verteidigt. Aber diese Art der Ausdrucksfreiheit fördert Terroristen. Sie können wählen: Wollen Sie die Freiheit des Ausdrucks, die Terroristen fördert, oder ein Eindämmen der terroristischen Strömung?
Wenn in einer europäischen Zeitung Jesus verspottet wird, wird das Kritik zur Folge haben, aber keinen Terror.
Das Christentum hat religiöse Reformen erlebt. Das haben wir noch nicht.
Braucht der Islam also eine Art Reformation?
Ja, aber von innen, nicht von den Christen. Ermutigen Sie Muslime zu Reformen. Aber dass der Papst daherkommt und den Islam kritisiert, das geht nicht. Im Westen verstehen sie nicht, dass muslimische Jugendliche keine Kritik an dem dulden, was ihnen heilig ist. Sie begreifen nicht, dass sie das provoziert. Wer das nicht versteht, versteht den Terror nicht.
INTERVIEW: LARISSA BENDER