: Warum hat Oma so schlechte Zähne?
PFLEGEREPORT Weder Zahnärzte noch Pfleger sind auf die Bedürfnisse geistig verwirrter und körperlich gebrechlicher Menschen eingestellt. Krankenkasse fordert einen Behandlungsstuhl pro Heim
BERLIN taz | Dement, körperlich stark eingeschränkt und Heimbewohner: Wer eines oder alle drei dieser Kriterien erfüllt, der hat in Deutschland besonders hohe Chancen, über Jahre keinen Zahnarzt zu sehen. „Die zahnmedizinische Versorgung Pflegebedürftiger lässt vielfach zu wünschen übrig“, bemängelte der Vizevorstandschef der Krankenkasse Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, am Dienstag in Berlin. Im Einzelfall seien die Behandlungen zwar in Ordnung. Sie fänden aber insgesamt – und vor allem im Vergleich mit Nichtpflegebedürftigen derselben Altersgruppe – viel zu selten statt, sagte Schlenker.
Ihre Kritik untermauert die Kasse mit Zahlen aus ihrem aktuellen Pflegereport, der in diesem Jahr erstmals anhand von Routinedaten die zahnmedizinischen Leistungen für Pflegebedürftige mit denen Nichtpflegebedürftiger gleichen Alters, Geschlechts und gleicher Morbidität vergleicht. Die Ergebnisse sprechen für sich: Während Nichtpflegebedürftige zum Beispiel konservierende, chirurgische und Röntgenleistungen beim Zahnarzt zu 30,4 Prozent je Quartal im Jahr 2012 nutzten, waren es bei den Pflegebedürftigen 9,8 Prozentpunkte weniger. Je nach Versorgungsart und Pflegestufe variierte diese Diskrepanz: Bei Menschen mit der Pflegestufe I, die von ihren Angehörigen daheim gepflegt wurden, betrug der Unterschied lediglich 5,1 Prozentpunkte. Heimbewohner mit Pflegestufe III hatten hingegen eine um 16,5 Prozentpunkte verringerte Behandlungshäufigkeit.
Auch bei Erkrankungen des Zahnhalteapparats, sogenannten Parodontopathien, waren Pflegebedürftige offenbar schlechter versorgt. Während 0,35 Prozent der nicht pflegebedürftigen Versicherten deswegen behandelt wurden, lag bei den Pflegebedürftigen die Inanspruchnahme um mehr als zwei Drittel niedriger (minus 0,25 Prozentpunkte).
Die zahnärztliche Unterversorgung von Pflegebedürftigen habe mehrere Ursachen, sagte der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang, der die Daten für die Barmer GEK analysiert hatte. Erstens werde im Heim „nicht genügend auf die Mundgesundheit geachtet“ und ein schlechter Mundstatus stattdessen „in Kauf genommen“.
Zweitens sei „überhaupt nur ein kleiner Teil der Zahnärzte zu Hausbesuchen bereit“. Und drittens seien weder Pflegeheime noch Zahnärzte ausreichend auf die besonderen Belange insbesondere von „verwirrten, dementen und weniger kooperationswilligen Pflegebedürftigen eingestellt“.
„Weiterbildung“, so Rothgang zur taz, „ist hier nicht nur für Pflegepersonal, sondern auch für Zahnärzte und Praxishelfer notwendig.“ Der Kassenvorstand Schlenker forderte als erste Maßnahme zur Behebung der Misere „in jedem Pflegeheim zumindest einen einfachen Behandlungsstuhl“.
Die Frage, ob Pflegebedürftigen aufgrund der schlechteren Versorgung die Zähne auch früher verfaulen oder ausfallen als gleichaltrigen Nichtpflegebedürftigen, konnte anhand der Routinedaten der Kasse nicht beantwortet werden. Regionale Auswertungen deuten allerdings darauf hin. So wurde in einer Bremer Studie mit 98 Probanden festgestellt, dass für bald Dreiviertel der Heimbewohner der Befund erhoben werden konnte, eine Zahnbehandlung sei zwar geboten gewesen, aber zu dem Zeitpunkt noch nicht eingeleitet worden. HEIKE HAARHOFF