OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Das Universum sei von „Chaos, Feindseligkeit und Mord“ beherrscht, philosophiert Werner Herzog in seiner Dokumentation „Grizzly Man“ (2005) zu den Videoaufnahmen des selbsternannten Tierschützers Timothy Treadwell, der dreizehn Jahre lang jeden Frühling ein abgelegenes Gebiet in Alaska besuchte, um dort seinen heiß geliebten Grizzlybären nahe sein zu können und sie vor tatsächlichen oder eingebildeten Feinden zu beschützen. Doch während Herzog in den Bären unverständige wilde Tiere sieht, betrachtet Treadwell, der in der Zivilisation auf ganzer Linie gescheitert war, die Bären als seine Vertrauten und strebt die Harmonie mit der Natur an. Auf gleicher Wellenlänge bewegen sich die beiden Männer, die sich nie getroffen haben, also nicht. Wer hat Recht? Die böse Ironie der Geschichte liegt darin, dass Treadwell und seine Begleiterin Amy 2003 von einem Bären attackiert und aufgefressen wurden. Offenbar kannte Treadwell die Grenzen doch nicht so gut, wie er in seinen obsessiv erstellten Videos behauptet, die ihn mit den Tieren quasi auf Tuchfühlung zeigen. Was Herzog an diesem Material interessiert, das er mit Interviews und eigenen Überlegungen zusammenmontiert hat, kann man sich leicht vorstellen: ein Mensch an der Grenze zur Paranoia, der sich in entlegener Wildnis ungehemmt und vollkommen authentisch selbst filmt, muss den Regisseur mit Vorliebe für geistige und körperliche Extreme einfach faszinieren. (OmU, 29.z7., Zeughauskino)

Wir verbinden den Begriff Science-Fiction meist mit fliegenden Untertassen und kleinen grünen Männchen, doch derlei gibt es in François Truffauts Bradbury-Verfilmung „Fahrenheit 451“ (1966) nicht: Hier geht es um das alltägliche Leben in einem totalitären Staat, in dem die Feuerwehr nicht zum Löschen, sondern zum Bücherverbrennen ausrückt. Feuerwehrmann Montag (Oskar Werner) rebelliert schließlich – über die Darstellung der Rebellion kam es bei den Dreharbeiten zu einem viel diskutierten Streit zwischen Werner und Truffaut: Während der Regisseur verlangte, der Mime solle Montag möglichst zurückgenommen und „alltäglich“ spielen, wollte Werner lieber gefühlsbetont zur Sache gehen. Eine kleine Truffaut-Retrospektive läuft zurzeit noch im Lichtblick-Kino. (30. 7., Lichtblick-Kino)

Im Grunde ist auch Jacques Tatis „Playtime“ (1967) ein Film mit alltäglicher Science-Fiction – die allerdings bereits fast von der Realität eingeholt ist: Der Versuch von Monsieur Hulot (Tati), eine geschäftliche Verabredung einzuhalten, endet in einer beklemmenden Odyssee durch ein hypermodernes Paris, in dem die einzelnen Gebäude und Räume austauschbar und gänzlich ihrer Funktion entkleidet sind. Tati rückt seine Gags dabei an den Rand des Geschehens, sie werden zu einem im Hintergrund ablaufenden Teil von Monsieur Hulots in Totalen gefilmten Irrläufen. Die Gegenwelt entwirft Tati mit Szenen in einem Restaurant, in dem am Eröffnungsabend noch immer die Handwerker arbeiten: Nichts funktioniert, doch je chaotischer es zugeht, umso gemütlicher wird es. (2. 8., Arsenal 1) LARS PENNING