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Archiv-Artikel

Vertuschungstaktik bei Vatenfall

Nach dem Brand im AKW Krümmel geriet gestern die Informationspolitik des Sozialministeriums und des Betreibers Vattenfall in die Kritik: „Wie so oft haben wir das Kleinreden der Störfälle ertragen müssen“, hieß es bei den Grünen

Als Uwe Harden am Tag nach dem Brand am Deich oberhalb des Atomkraftwerks Krümmel stand und in den Rauch schaute, schwante ihm Böses: „Ob die uns wohl alles erzählt haben?“ Das Misstrauen des niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten ist berufsbedingt. Harden ist Gründer und Sprecher der „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ und kämpft seit Jahren gegen die Reaktoren.

Im aktuellen Fall scheint sein Zweifel berechtigt: Rund eine Woche nach dem Brand in einem Trafo des Kraftwerks stellt sich heraus, dass die Vorfälle im Meiler an der Elbe schwerer waren, als anfänglich bekannt war. So kam es zu Auffälligkeiten bei der Schnellabschaltung des Reaktors, wie das für Reaktorsicherheit zuständige Sozialministerium bestätigte.

Gestern geriet vor allem die Informationspolitik des Krümmel-Betreibers Vattenfall und des Sozialministeriums in die Kritik: „Wie so oft haben wir das Kleinreden der Störfälle ertragen müssen, um dann festzustellen, dass ein schwerwiegendes Ereignis vorliegt“, sagte Detlef Matthiessen, Abgeordneter der Grünen im Kieler Landtag. Seine Kollegen in Niedersachsen sprechen davon, dass der Vorgang in Kümmel der „erste Schritt auf dem Weg zu einer Kernschmelze“ war, und fordern Konsequenzen auch für niedersächsische Kraftwerke.

Auch sonst eher Atom-freundliche Politiker wie der CDU-Abgeordnete Manfred Ritzek und Heiner Garg (FDP) kritisierten, dass Vattenfall Informationen zurückhalte: „Vertrauen erzeugt man durch Offenheit, nicht mittels Salamitaktik“, sagte Garg. Bundesweit fordern Naturschutz- und Anti-Atomorganisationen Konsequenzen: „Diese Dinosaurier müssen endlich vom Netz!“, sagte Hermann Schultz vom NABU in Schleswig-Holstein.

Sozialministerin Gitta Trauernicht wies die Kritik an ihrer Informationspolitik zurück: „Die Öffentlichkeit ist umfassend, solide und schnell informiert worden. Gegenteilige Vorwürfe sind absurd.“ Vattenfall habe die Informationen schnell weitergegeben, gesicherte Erkenntnisse über die Unregelmäßigkeiten im Reaktorbereich hätten erst fünf Tage nach dem Brand vorgelegen. Die Probleme bei der Schnellabschaltung würden untersucht, sagte Trauernicht: „Für mich ist klar, dass Krümmel erst wieder ans Netz gehen kann, wenn alle sicherheitsrelevanten Punkte geklärt sind.“

Eben darüber streiten die Experten. Uwe Harden sagt: „Man darf das nicht verniedlichen. Jede Schnellabschaltung ist ein gravierender Eingriff, und die Technik verzeiht nicht viel. Es tritt auf jeden Fall Strahlung aus.“ Das Ministerium weist das zurück. Mehr als 100 Messgeräte stehen um den Meiler herum, und „wir haben nichts Auffälliges gesehen“, hieß es aus dem Ministerium auf taz-Anfrage. Laut Harden liegt das daran, dass zu hohe Grenzwerte zugrunde gelegt werden, auch würde nur Gammastrahlung gemessen. Falsch, so das Ministerium: Strahlung träte immer gemischt auf, nur wenn Gammastrahlen gemessen würden, seien auch Alpha- und Beta-Teilchen zu finden. Auch hätten Alpha- und Betastrahlen andere Auswirkungen als die harte Gammastrahlung.

Zu der Schnellabschaltung des Reaktors war es durch den Brand in einem Trafo gekommen: Der erzeugte Strom konnte nicht mehr ins Netz geschickt werden, er wurde in einen zweiten Trafo umgeleitet, doch auch dort fiel ein Schalter aus. Der Reaktor schaltete sich automatisch ab, um eine Überhitzung zu vermeiden. Das dauert im Normalfall nur wenige Sekunden. ESTHER GEISSLINGER

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