: LBBW: Der ungehörte Zeuge
Zwei Jahre ziehen sich schon die Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen drei ehemalige Geschäftsführer der LBBW Immobilien GmbH hin. Der Verdacht: schwere Untreue im Zusammenhang mit riskanten Geschäften. Ein früherer Spitzenmanager der LBBW, der die damalige Schieflage und das pikante Innenleben der Banktochter bestens kennt, wurde jedoch bis heute nicht als Zeuge vernommen. Warum?
von Rainer Nübel
Die medienwirksamen Aktionen der Staatsanwaltschaft Stuttgart schienen vom unbändigen Willen zur brutalstmöglichen Aufklärung zu zeugen. Gleich zwei Mal waren Ermittler im Jahr 2009 bei der Landesbank Baden-Württemberg und deren Immobilientochter eingefallen, um eine Menge Unterlagen sicherzustellen. Die beiden Razzien sollten Licht ins Dunkel riskanter Geschäfte bringen, die zwischen 2006 und 2008 in der Immobiliensparte der LBBW gelaufen waren, unter anderem in Rumänien. Seitdem ist es um das Ermittlungsverfahren gegen drei inzwischen ausgeschiedene Geschäftsführer auffallend still geworden.
„Die Ermittlungen laufen noch“, heißt es heute immer noch bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Die Materie sei schwierig, das Verfahren aufwendig, wird seit Monaten stereotyp angedeutet. Umso mehr könnte den Ermittlern eigentlich ein früherer hochrangiger LBBW-Manager weiterhelfen, der ein Kenner der Materie ist – sozusagen als Lotse durch pikante Prüfberichte oder Expertisen, die der Staatsanwaltschaft seit ihren Razzien vorliegen müssten. Dieser Mann kennt die Schieflage en detail, in die das LBBW-Unternehmen durch eine fragwürdige Expansionspolitik geraten war. Allein im Jahr 2007 waren, wie interne Geschäftspapiere zeigen, 1,1 Milliarden Euro in neue Projekte investiert worden, die sich als keinesfalls so werthaltig erwiesen wie angekündigt.
Dazu zählt eine Siedlung mit 480 Wohnungen, die man nahe der rumänischen Hauptstadt Bukarest für rund 70 Millionen Euro aus dem Boden gestampft hatte. Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger besuchte höchstpersönlich das „Deutsche Viertel“, zeigte sich werbewirksam tief beeindruckt von den neuen Bauten. Doch die Realität erwies sich als krasser Gegensatz zur Hochglanz-Präsentation: Viele Wohnungen waren schwer verkäuflich. Im Klartext: Die LBBW-Immobilientochter hatte vor den Toren Bukarests eine Menge Geld versenkt. Der Schaden aus den riskanten Geschäften wurde in den Medien einmal auf 27 Millionen Euro beziffert. Die Staatsanwaltschaft spricht heute von einer „geringeren Summe“.
Gravierende Mängel im internen Kontrollsystem
Eigentlich wäre Markus Pflitsch ein Zeuge, den sich eine Staatsanwaltschaft nur erträumen kann. Wenn sie konsequente Aufklärung betreiben wollte. Zum einen war der heute 40-Jährige in die Immobiliengeschäfte, die jetzt Gegenstand der Ermittlungen sind, nie involviert, also wäre er ein völlig unbelasteter Zeuge. Denn im fraglichen Zeitraum war Markus Pflitsch noch im Mutterkonzern tätig, als Leiter der Abteilung Konzernentwicklung. Zum anderen aber war es gerade der LBBW-Spitzenmanager, der von April 2009 an die Aufgabe der Sanierung des milliardenschweren Immounternehmens übertragen bekam und als neuer Chef tiefe Einblicke in den maroden Zustand der Banktochter bekam. Einblicke, die ihn schließlich konsequent handeln ließen – unmittelbar danach war Markus Pflitsch allerdings kein LBBW-Spitzenmanager mehr.
Die Gründe, warum Pflitsch im Frühjahr 2009 vom damaligen Bankvorstand mit der Sanierung der Immobilientochter betraut worden war, erschließen sich aus einem vertraulichen Revisionsbericht der LBBW zur Lage des Tochterunternehmens vom 3. Februar 2009. Schwerpunkt der Prüfung war die Projektentwicklung. Der Bericht zeichnet ein vernichtendes Bild. Die Prüfung hatte ein „mangelhaftes Ergebnis“ ergeben. Von „fehlenden Steuerungsfunktionen“ ist die Rede. Die strategische Ausrichtung des „Segment Development“ sei stark risikobelastet. Oder: „Eine risiko- sowie liquiditätsbasierte Steuerung der Projekte ist nur sehr eingeschränkt gegeben.“ Im Klartext: Es gab gravierende Mängel im internen Risikomanagement und Kontrollsystem. An anderer Stelle des Revisionsberichts wird dringend empfohlen, „für alle Projekte Liquiditätspläne zu erstellen und laufend zu überwachen bzw. fortzuschreiben“.
Wie verheerend die Lage der LBBW-Immobiliensparte war, machte Pflitsch innerhalb des Bankkonzerns unmissverständlich deutlich. In einer internen Präsentation am 14. Juni 2009 legte er dar, dass Projekte mit einem Volumen von mehr als 1,6 Milliarden Euro nicht durchfinanziert seien. Und er durchbrach die Mär von hohen Gewinnen: Nur der kleinere Teil der Erträge sei nachhaltig. Die Öffentlichkeit hatte von der drastischen Schieflage nichts mitbekommen, ihr waren Anfang 2009 vielmehr noch stolze Gewinne präsentiert worden – Immobilienwerte waren zuvor entsprechend heraufgesetzt worden. Ohne den Effekt dieser Aufwertung, so räumte Pflitsch jetzt intern mit derlei Augenwischereien auf, habe die Immobiliensparte Verlust gemacht. Als Pflitsch intern diese schonungslose Bestandsaufnahme zum Zustand der Immobiliensparte präsentierte, vollzog sich an der Spitze der Landesbank gerade ein Wechsel: Siegfried Jaschinski musste gehen, die Führung der LBBW übernahm damals Hans-Jörg Vetter. Vetter, der künftig auch die BW-Bank leiten wird, wie jetzt am Dienstag bekannt wurde.
Sollte das Insiderwissen von Markus Pflitsch eine Staatsanwaltschaft, die gerade wegen riskanter Immobiliengeschäfte bei der LBBW ermittelt, nicht brennend interessieren? Zeugenvernehmungen habe es bisher viele gegeben, sie füllten inzwischen einige Aktenordner, erklärte jetzt die Sprecherin der Stuttgarter Ermittlungsbehörde. Und sie gehe davon aus, dass es auch einen Kontakt zu Herrn Pflitsch gebe. Ein Irrtum. Markus Pflitsch sagte jetzt auf Anfrage der Kontext:Wochenzeitung: „Ich darf aufgrund meiner Schweigepflicht keine Auskunft geben. Allerdings kann ich Ihnen bestätigen, dass ich niemals von der Staatsanwaltschaft kontaktiert oder als Zeuge befragt worden bin.“ Warum?
Pflitschs Erfahrungen in der Landesbank, von denen er als Zeuge zu berichten wüsste, könnten auch und besonders die Frage aufwerfen, wie der LBBW-Vorstand unter Hans-Jörg Vetter im Sommer 2009 mit der Malaise der Immobilientochter umging. Dazu sollte man wissen: Markus Pflitsch, der im Juli 2009 Chef der LBBW-Immobilien GmbH wurde, hatte diesen Posten nur einen Monat inne. Am 30. Juli 2009 weigerte er sich, eine sogenannte Vollständigkeitserklärung für die Halbjahresbilanz der LBBW-Tochter abzugeben. In einer solchen Erklärung versichern Geschäftsführer gegenüber den Wirtschaftsprüfern unter Strafandrohung, dass nichts verheimlicht wird. Pflitsch hatte sein Nein damit begründet, dass angesichts der prekären Lage der Immobilientochter sowie nach dem Urteil des Revisionsberichts „wesentliche Mängel des internen Kontrollsystems nicht negiert werden“ könnten. Dies geht aus einem Protokoll hervor, das an Bankchef Vetter geschickt wurde. In der vorformulierten Erklärung, die Pflitsch hätte mit absegnen sollen, stand, dass in der Immosparte Störungen oder wesentliche Mängel des internen Kontrollsystems nicht vorlägen. Was in krassem Widerspruch zum internen Revisionsbericht stand. Dasselbe galt für die vorformulierte Darstellung, man verfolge keine Pläne, die zur Folge haben könnten, dass sich Buchwerte wesentlich verändern.
Einen Tag nach seiner Weigerung, diese realitätsferne und schönfärberische Erklärung zur Lage der Immobilientochter abzugeben, am 31. Juli 2009, wurde Pflitsch mit sofortiger Wirkung von der Geschäftsführung enthoben – durch einen Vorstandsbeschluss der von Hans-Jörg Vetter geführten Landesbank. Durch seine Abberufung brauchte die LBBW Pflitschs Unterschrift nicht mehr. Die anderen Geschäftsführer der Immobiliensparte unterzeichneten die Vollständigkeitserklärung.
Wurde ein Manager mit Rückgrat abserviert, weil durch sein Nein der LBBW-Halbjahresabschluss gefährdet und die prekäre Lage der Banktochter hätte publik werden können? Pflitschs Ausscheiden stehe in keinem Zusammenhang mit dem Nichtunterschreiben einer Vollständigkeitserklärung, erklärte die Bank Anfang dieses Jahres, als der SWR und das Magazin Stern über diese Vorgänge im Sommer 2009 berichteten. Man habe „Fachexperten mit ausgewiesenem Immobilien-Know-how für die Geschäftsleitung“ gewinnen wollen.
Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Grund für Ermittlungen
Im Halbjahresfinanzbericht 2009 der Landesbank steht, bei der LBBW Immobilien GmbH seien „im ersten Halbjahr 2009 die Risiken aus dem Segment Development in den Vordergrund gerückt“. Sie lägen „grundsätzlich“ in der Überschreitung der budgetierten Kosten und Termine während der Bau- bzw. Projektphase sowie in der Verschlechterung der Vermarktungssituation. Verwiesen wird auf die damalige Finanz- und Immobilienmarktkrise. Kein Wort findet sich freilich zu den konkreten Mängeln im Risikomanagement und Kontrollsystem, auf welche die LBBW-Revision gestoßen war. Und nichts lesen die Anteilseigner und Geschäftspartner der Landesbank von der drastischen Schieflage der Immosparte, die Markus Pflitsch im Juni 2009 intern dargestellt hatte. Dennoch sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart „keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verhältnisse des Konzerns im Konzernzwischenabschluss unrichtig dargestellt oder verschleiert wurden“.
Zu diesem Ergebnis kam die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, als sie im Januar geprüft hatte, ob ein Anfangsverdacht der unrichtigen Darstellung im Konzernzwischenabschluss 2009 der LBBW vorliegt. Es gebe keine Anhaltspunkte für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, erklärte die Behörde – nach kaum mehr als vier Wochen Prüfzeit. Ein Bürger strengte daraufhin eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft an, er wittert Strafvereitelung im Amt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat diese Beschwerde abgewiesen, wie ein Sprecher der Behörde bestätigt.
Dies dürfte nicht nur bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Zufriedenheit aufgenommen werden, sondern auch in der Chefetage der LBBW. Dort bleibt man von unbequemen Fragen verschont. Die Immobilien der Landesbank wurden übrigens zum Jahresende 2009 abgewertet. Um fast 300 Millionen Euro.