Zwist unter den Rebellen nach Mord an Chefkommandeur

LIBYEN Militärchef der Aufständischen brutal getötet. Waren es die eigenen Leute oder Gaddafi-Kämpfer?

„Du hast ihn getötet!“, riefen die Kämpfer, die versuchten, die Pressekonferenz zu stürmen

VON DOMINIC JOHNSON

BERLIN taz | Die Aufständischen in Libyen haben ihren wichtigsten Militärchef verloren – und offenbar auch ihren inneren Zusammenhalt. Schießereien brachen in der ostlibyschen Rebellenhauptstadt Bengasi aus, als der Tod von General Abdulfattah Junis am Donnerstagabend bekannt wurde. Trauernde Angehörige brachten gestern Mittag einen Sarg mit der verkohlten und von Kugeln durchsiebten Leichen des Generals ins Stadtzentrum zu einer improvisierten Trauerkundgebung.

„Gott ist groß“ und „Das Blut der Märtyrer wird nicht sinnlos vergossen“ riefen wütende junge Männer schon am Donnerstagabend, bevor der Chef der Rebellenregierung „Nationaler Übergangsrat“, Mustafa Abdul Dschalil, auf einer Pressekonferenz in einem Hotel in Bengasi die Nachricht der Ermordung „eines der größten Helden der Revolution“ bekanntgeben wollte. „Du hast ihn getötet!“, riefen die Junis-treuen Kämpfer, die versuchten, die Pressekonferenz zu stürmen. Nach der Pressekonferenz gaben sie vor dem Hoteleingang Trauerschüsse ab, was im Hotel Panik auslöste. Am Freitagmorgen war schweres Gewehrfeuer in Bengasi zu hören. Es wurde spekuliert, Kämpfer aus Junis’ weiter östlich gelegener Heimatstadt Tobruk seien unterwegs, um den General zu rächen. Die Angehörigen, die mittags seine Leiche in die Stadt brachten, erklärten jedoch, sie stünden unverbrüchlich hinter dem Nationalrat und Dschalil. „Libyen kommt an erster Stelle, bis Gott uns den Sieg schenkt“, sagte Neffe Abdul Hakim.

Die genauen Todesumstände des Generals bleiben mysteriös. Am Donnerstagnachmittag hatte die Nachrichtenagentur Reuters in Bengasi gemeldet, General Junis sei von der Kriegsfront bei Brega nach Bengasi zurückbeordert worden, um verhört zu werden. Rebellensprecher Mohammed al-Ridschali bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, Junis sei „in Militärangelegenheiten“ zurückbeordert und in Gewahrsam genommen worden. Das Haus des Generals war von Soldaten der Rebellenarmee abgeriegelt.

Am Abend sagte dann Rebellenchef Dschalil auf seiner Pressekonferenz, General Junis sei zusammen mit zwei weiteren hohen Militärs, Oberst Mohammed Khamis und Major Nasir al-Madhkur, von Angreifern getötet worden. Er nannte weder Zeitpunkt, Ort oder Art des Mordes. „Das war, nachdem er von der Front zurückberufen wurde, um von Richtern über den Feldzug befragt zu werden“, so Dschalil. „Er erschien nicht vor dem Richterkomitee. Solange die Befragung noch laufen sollte, ließen wir ihn auf freiem Fuß.“ Dann sei er getötet worden. Ein Rebellenoffizier sagte später gegenüber AP, man habe drei Menschen mit schweren Verbrennungen gefunden, zwei davon tot und einer bewusstlos; einer davon sei Junis.

Libysche Kommentatoren vermuteten, Gaddafi stecke hinter dem Anschlag und wolle Zwietracht unter den Rebellen stiften. Dschalil rief dazu auf, „die Bemühungen des Gaddafi-Regimes, unsere Einheit zu untergraben, zu ignorieren“, und warnte vor „Verbrecherbanden“.

Der Tod des Generals kommt zu einem kritischen Zeitpunkt im Aufstand gegen Gaddafi, der im Februar begann. Nach Monaten des Stillstands haben die Rebellen in den letzten Wochen an allen drei Kriegsfronten – im Osten um Brega, im Westen um Misurata und in den westlibyschen Nafusa-Bergen – Geländegewinne erzielt, ein klarer Durchbruch Richtung Tripolis ist aber nicht in Sicht. Kontakte zwischen Vertretern der Rebellen und Persönlichkeiten aus dem Gaddafi-Landesteil, meist auf der tunesischen Insel Djerba, führen zu ständigen Gerüchten, es gebe informelle Direktverhandlungen. Dies wird ständig von beiden Seiten dementiert. Der Beginn des Fastenmonats Ramadan am 1. August verkompliziert die Lage.

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