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Archiv-Artikel

Dämpfer für die rote Dora

Die Linke probt in Hamburg den Auftakt zur Bürgerschaftswahl und demontiert dabei die designierte Spitzenkandidatin, die SPD-Dissidentin Dora Heyenn. Die geht ohne Vorstandsposten als Verliererin aus dem Gründungsparteitag hervor

VON MARCO CARINI

Aufbruchsstimmung sieht anders auf. Schwerfällig schleppt sich der Gründungsparteitag der Linken in Hamburg über die Stunden, geplagt von langwierigen Geschäftsordnungsdebatten, Satzungsstreitigkeiten und Störmanövern der als sektiererisch geltenden Liste Links um den Dauerstudenten Olaf Walther, die die PDS als Erbmasse in den Gründungsprozess mit eingebracht hat.

Die in viele kleine Grüppchen und Strömungen aufgeteilte neue Partei quält sich an diesem Wochenende durch die umfangreiche Tagesordnung, fast 20 Stunden Diskussions- und Abstimmungsmarathon sind angesetzt und der im Bürgerhaus Wilhelmsburg ausgeschenkte Kaffee fließt literweise die Kehlen hinunter, auf dass keiner der 131 versammelten Delegierten und zahlreichen Gäste vorzeitig schwächeln möge.

An diesen beiden Tagen ist wenig zu spüren von dem Rückenwind, den die erfolgreiche Bremen-Wahl und ganz aktuell eine repräsentative Wahlumfrage in den Versammlungsraum blasen könnte, die die Linke auch in Hamburg abermals über fünf Prozent taxiert.

Es bleibt Norman Paech, dem Grandseigneur der Hamburger Linken vorbehalten, etwas Schwung in den müden Laden zu bringen. Seine Abrechnung mit der Hamburger SPD fällt rhetorisch anspruchsvoll aus, und als der Bundestagsabgeordnete den SPD-Bürgermeisterkandidaten Michael Naumann gar einen „Rattenfänger“ nennt, erwacht sogar die versammelte Journalistenschar kurzfristig aus ihrer Lethargie – das ist der Stoff, aus dem Schlagzeilen sind.

Mit Spannung erwarten die Delegierten auch die Rede der Landesvorständlerin Dora Heyenn, die nach zahlreichen Absagen prominenterer Zugpferde nun als Favoritin für die Spitzenkandidatur gilt. Darüber soll im September entschieden werden. Doch die Rede der ausgebildeten Lehrerin, die mehr als ein Vierteljahrhundert sozialdemokratischer Parteikarriere auf dem Buckel hat, bleibt erstaunlich farblos. „Wir können uns nur noch selbst stoppen“, beendet die 58-Jährige ihr Referat, in dem sie gerade selbst das beste Beispiel für ihre Schlussthese geliefert hat.

Auf den Fluren und später auch im Plenum wird unterdessen das Spannungsfeld zwischen Machbarkeit und Utopie, Realpolitik und fundamentaler Systemkritik durchdekliniert. Ist die Partei, wenn sie Gegenfinanzierungsvorschläge für jeden ihrer kostspieligen Reformvorschläge macht, „endgültig im Kapitalismus angekommen“, oder muss sie genau das tun, um als seriöse politische Kraft wahrgenommen zu werden?

Wie weit darf die Zusammenarbeit mit Rot-Grün gehen? Opposition aus Prinzip, punktuelle Zusammenarbeit, oder gar Tolerierung, wenn die Sozialdemokraten sich denn tolerieren lassen würden und bereit wären, aus dem „neoliberalen Parteienblock“ auszubrechen. Abschaltung aller Atommeiler möglichst schnell oder doch lieber sofort? Über all diese nicht besonders neuen Fragen wird scharf und doch oft mit erstaunlich wenig Herzblut gestritten, um Entscheidungen und Formelkompromisse gerungen.

Am Schluss der Veranstaltung steht Vorzeigbares: Trotz aller Debattenumwege wird die Tagesordnung mit deutscher Gründlichkeit abgearbeitet. Am späten Sonntag des Verbal-Marathons kann Hamburgs Linke ein Sofortprogramm, eine Satzung und sogar eine blitzsaubere Demontage der designierten Spitzenkandidatin vorweisen. Dora Heyenn muss sich bei den anstehenden Vorstandswahlen in der ersten Runde der langjährigen PDS-Sprecherin Christiane Schneider geschlagen geben und scheitert im zweiten Wahlgang mit 50 zu 76 Stimmen an der gebürtigen Iranerin Zaman Masudi. Auf eine Kandidatur um die beiden „Männerplätze“ verzichtet sie entnervt. Gewählt werden schließlich der PDSler Herbert Schulz und der ehemalige DKP- und Regenbogen-Aktivist Berno Schuckart für die WASG. Der bisherige PDS-Landessprecher Horst Bethge scheitert mit seiner Kandidatur. Zumindest die Balance zwischen den beiden Vorgängerparteien der Linken ist damit gewahrt.

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