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Archiv-Artikel

„Ich habe kein Mitleid mit Mördern“

PETER FAUST

„Die meisten Fälle sind Beziehungstaten. Der Fernsehkrimimord, wo gezielt mit viel Überlegung, Hinterlist und komplizierten ökonomischen Motiven eine Tötung begangen wird, ist ganz selten“

Viermal hat er „lebenslänglich“ – die höchste aller Freiheitsstrafen – verhängt. Zuletzt vor einer Woche: Über Irene B., die Krankenschwester der Charité, wegen fünffachen Mordes an Patienten. Peter Faust ist seit 1985 Richter. Der Vorsitzende der 22. Strafkammer ist für schwere Verbrechen an Leib und Leben zuständig. Er steckt Straftäter nicht nur ins Gefängnis. Als Leiter einer Strafvollstreckungskammer entscheidet er auch darüber, ob einer vorzeitig auf Bewährung freikommt. Zudem bildet der 52-jährige Landesvorsitzende des Deutschen Richterbundes Juristen in China fort

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Faust, Sie sitzen zweimal pro Woche über mutmaßliche Mörder und Totschläger zu Gericht. Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?

Peter Faust: Ein gewisser Zynismus hat sich sicher eingeschlichen. Dafür habe ich zu viele schlimme Dinge gehört und gesehen. Aber ich versuche, dagegen anzukämpfen.

Sind Sie ein eher harter oder ein weicher Richter?

Das müssen Sie andere Leute fragen. Wie ich höre, soll es Staatsanwälte geben, die die 22. Kammer für relativ weich und milde halten. Verteidiger würden wahrscheinlich das Gegenteil behaupten.

Wie oft haben Sie in Ihrem Berufsleben schon die gesetzliche Höchststrafe – also „lebenslänglich“ – verhängt?

Eher selten. Genau viermal in 22 Jahren. Zweimal habe ich als Vorsitzender an diesem Urteil mitgewirkt, zweimal als Beisitzer.

„Lebenslänglich“ bedeutet mindestens 15 Jahre Haft. Empfindet man als Richter dann Mitleid mit dem Verurteilten?

Natürlich ist mir bewusst, dass die Leute sehr lange ihre Freiheit verlieren. Aber Mitleid? Nein. Ich finde es richtig, dass auf Mord „lebenslänglich“ steht. Es handelt sich um entsetzliche Taten.

Auch die Krankenschwester aus der Charité, Irene B., hat von Ihrer Kammer wegen Mordes an fünf Patienten „lebenslänglich“ bekommen. Was für ein Fazit haben Sie aus dem Prozess gezogen?

Ich äußere mich in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht zu Einzelheiten von Verfahren, in denen ich den Vorsitz geführt habe.

Legt man so einen Fall mit dem Urteil einfach ad acta?

Alle Fälle, über die ich zu Gericht gesessen habe, beschäftigen mich auf die ein oder andere Weise weiter. In dem vorliegenden Fall waren es grundsätzliche Fragen: Wie gehen wir mit alten, schwerkranken, sterbenden Menschen um? Mir ist durch den Kopf gegangen, dass ich vielleicht einmal selbst in so einer Situation sein könnte. Was sich in dem Prozess an Zuständen offenbart hat …

verwirrte, schwerkranke Menschen wurden von der angeklagten Krankenschwester geschlagen, ohne dass die Kollegen etwas dagegen unternahmen …

… das hat mich ziemlich ernüchtert.

Was genau verstehen Sie unter dem Begriff „Gerechtigkeit“?

Die saubere Anwendung des geltenden Rechts. Wir haben ein gutes, liberales, pragmatisches Rechtssystem, das dem Angeklagte nahezu optimale Möglichkeiten einräumt, sich zu verteidigen.

Viele Medien erwecken den Eindruck, dass die Kriminalität immer schlimmer wird. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Überhaupt nicht. Die Kriminalität sinkt. Das gilt auch oder gerade für besonders schwerwiegende Straftaten wie Tötungen und Sexualmorde an Kindern. Die meisten Fälle, mit denen es meine Kammer zu tun, ähneln sich in der Grundstruktur: Beziehungstaten nach dem Muster „Mann tötet Frau, weil sie versucht hat, sich von ihm zu trennen“. Und sinnlose, abgestumpfte Gewalt im Trinkermilieu. Der Fernsehkrimimord, wo gezielt mit viel Überlegung, Hinterlist und komplizierten ökonomischen Motiven eine Tötung begangen wird, ist ganz selten.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihrem Beruf?

Ich schätze ihn sehr. Es ist eine interessante, anstrengende Tätigkeit. Man bekommt einen tiefen Einblick in alle Schichten und Kulturen der Gesellschaft und hat viel Freiheit in der Ausgestaltung der Arbeit.

Richter können kommen und gehen, wann sie wollen.

Das wird immer gern in den Vordergrund gestellt. Meist handelt es sich um Neider, die so was sagen. In Wirklichkeit ist es so, dass es kaum einen Berufsrichter geben wird, der unter 40 Stunden die Woche arbeitet. Ich arbeite viel zu Hause, auch abends und am Wochenende. Umfängliche Akten lesen sich nicht so gut im Büro, wo ständig das Telefon klingelt und Leute vorbeikommen.

Sie treiben sich also nicht den ganzen Tag auf dem Golf- oder Tennisplatz herum?

Dieses Vorurteil weise ich weit von mir. Wenn ich Zeit habe, fahre ich Motorrad. Genau gesagt, eine Yamaha 1100, Liebhaber hochgezüchteter Zweiräder würden sagen, eher ein Altmännermotorrad. Es hat nicht allzu viele PS, ist aber technisch ausgereift.

Viel Freizeit bleibt Ihnen bei den vielen Nebentätigkeiten, die Sie haben, vermutlich nicht.

Stimmt. Ich bin Berliner Landesvorsitzender des Deutschen Richterbundes, und ich wirke seit vielen Jahren an Programmen zur Richterfortbildung in China mit.

Wie kam es dazu?

Zufall. Der Richterbund suchte einen der englischen Sprache fähigen Richter. Da habe ich mich gemeldet. Ich fahre bis zu dreimal im Jahr für jeweils maximal 14 Tage nach China, halte dort Vorträge und nehme an Seminaren teil. Neben Peking war ich auch schon in Schanghai und in Xian.

Die Justizsenatorin stellt Sie bei voller Lohnfortzahlung frei?

Das Ganze gilt als Sonderurlaub, weil die Tätigkeit im außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt, wie es so schön heißt.

Was treibt Sie nach China?

In China gibt es neben tollen Entwicklungen viele Probleme, auch nach wie vor die Todesstrafe. Mit juristischen Fortbildungsveranstaltungen kann man Sinnvolles tun, ohne als Menschenrechtsprediger durch die Lande zu ziehen. Und ich bin neugierig auf dieses große, fremde Land, das auf der einen Seite eine Hightech-Nation ist und auf der anderen ein Entwicklungsland.

In Kolumbien sind Sie auch aktiv?

Nicht ich persönlich. Der Richterbund unterstützt in Kolumbien die hinterbliebenen Frauen und Kinder von ermordeten Richtern und Staatsanwälten. Wir haben dafür eine Stiftung gegründet und sammeln Geld. Einen akut gefährdeten Kollegen haben wir sogar außer Landes bringen und ihm zu einer neuen wirtschaftlichen Existenzgründung verhelfen können. Der Richter wäre umgebracht worden, wenn er dort nicht schleunigst verschwunden wäre.

Außerdem leiten Sie am Landgericht eine der sechs Strafvollstreckungskammern. Das heißt, Sie entscheiden darüber, ob ein Straftäter vorzeitig auf Bewährung entlassen wird. Im Vergleich zu anderen Bundesländern kommen in Berlin wesentlich weniger Inhaftierte vor dem offiziellen Strafende frei. Woran liegt das?

Das hat viele Gründe. Unser Oberlandesgericht, das Berliner Kammergericht, nimmt, was die vorzeitige Entlassung angeht, einen relativ strengen Standpunkt ein. Anders als ein Flächenstaat haben wir es in Berlin häufig mit Straftätern zu tun, die ein gehöriges kriminelles Vorleben haben. Es wäre blauäugig, zu erwarten, dass diese Leute künftig keine Straftaten mehr begehen.

Das klingt ziemlich pessimistisch.

Nicht ganz. Straftäter, die resozialisiert werden, sind zwar eher eine Minderheit. Am schwierigsten ist es bei Drogenabhängigen, Sexualstraftätern und Pädophilen. Aber auch da gibt es Erfolge. Ich pflege es immer in die Formel zu kleiden: Mich wundert, wie wenig schiefgeht, wenn wir diese Täter entlassen.

Haben Sie einen Straftäter schon mal so falsch eingeschätzt, dass seine vorzeitige Entlassung fatale Folgen für andere Menschen hatte?

Mir persönlich ist das noch nicht passiert. Aber ich weiß es von Kollegen. Das ist bei uns Richtern Berufsrisiko. Selbstverständlich lassen wir uns von psychiatrischen Sachverständigen beraten. Aber entscheiden müssen wir. Wir arbeiten mit Prognosen, und wir arbeiten mit Menschen. Das bedeutet, es gibt keine Sicherheit.

Schicken Sie die Leute eigentlich ruhigen Gewissens in die Knäste, obwohl bekannt ist, dass dort kaum etwas mit ihnen passiert?

Die Situation in den Haftanstalten ist nicht optimal, das stimmt. Die Gefängnisse sind überbelegt, es gibt zu wenig Personal, insbesondere was die sozialtherapeutische Behandlung angeht. Auf der anderen Seite gibt es gerade für Leute, die lange einsitzen müssen, Therapieangebote, die aber nicht genutzt werden. Solange unserer Gesellschaft nichts Besseres einfällt, werden wir auf Gefängnisse kaum verzichten können.

Sind Sie selbst auch schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

Eigentlich müsste ich mich jetzt auf mein Aussageverweigerungsrecht berufen. Ja. Harmlose Dinge, als ich 12 oder 13 war. Ich komme aus einem kleinen Dorf in Hessen. Umfrisiertes Moped und was auf dem Lande sonst noch so an kleinen Straftaten passiert. Der Dorfpolizist sah es, unterband es, berichtete es den Eltern. Ende der Maßnahme.

Wie lange wollen Sie sich den Job des Richters noch antun?

Viele Kollegen bedauern es, wenn sie aufhören müssen. Dazu würde ich vermutlich nicht gehören. Ich kann mir vorstellen, nicht unbedingt bis zum Ende der gesetzlichen Möglichkeiten zu arbeiten. Ich würde gern mehr Zeit mit meiner Frau verbringen, reisen, lesen, Motorrad fahren, vor allem aber wieder mehr Schach spielen. Wenn ich heute verliere, bin ich frustriert, weil ich weiß, dass das nicht an mangelnder Intelligenz liegt, sondern an mangelnder Übung.

Was wird Ihr nächster großer Fall sein?

Richter und Journalisten haben unterschiedliche Vorstellungen, was ein großer Fall ist. Ich könnte mir vorstellen, dass der Fall des Autofahrers, der bei der Fußballweltmeisterschaft in die Fanmeile am Brandenburger Tor fuhr, öffentliches Interesse hervorrufen wird. Der Prozess, ein Sicherungsverfahren, ist für den Spätsommer terminiert.

Und im Moment? Über wen sitzen Sie gerade zu Gericht?

Über einen gebürtigen Kubaner. Der Mann soll versucht haben, seine Frau zu erwürgen, weil sie sich von ihm trennen wollte.