Eine Person besucht ihren Autor

AUSHILFSKRAFT Der Ire Declan Burke hat einen Meta-Krimi geschrieben, in dem eine Romanfigur sich selbst zum Autor aufschwingt und gleich auf lebensgefährliche Weise ins wahre Leben eingreift: „Absolute Zero Cool“

Das Selbstbezügliche macht in diesem Fall erstaunlich viel Spaß

Man kann sich schon vorstellen, wie geplagt AutorInnen sich manchmal von ihren Figuren fühlen müssen. Vor allem dann, wenn es sich eher nicht um sympathische Zeitgenossen handelt, sondern um Psychopathen, Mörder oder auch nur notorische Besserwisser. Immerhin ist man, wenn man vom Schreiben erfundener Geschichten lebt, gezwungen, viele Stunden mit den Personen zu verbringen, deren geistige Existenz man selbst zu verantworten hat.

Der irische Krimiautor Declan Burke, von dem mit „Absolute Zero Cool“ nun erstmals ein Roman auf Deutsch erschienen ist, arbeitet sich mit Verve ab an einer Romanfigur namens Karlsson oder auch Billy. Karlsson nämlich erscheint eines Tages beim Autor und erklärt, nicht mehr Karlsson heißen zu wollen. Auch sein Äußeres hat er stark verändert und scheint sich in jeder Hinsicht von der Romanfigur emanzipieren zu wollen, die der Autor ursprünglich entworfen hat. Fortan schreiben Autor und Billy gemeinsam an einer zweiten Fassung des angefangenen Romans, modifizieren einige der psychotischsten Züge der Hauptfigur ins Menschlichere und verwerfen besonders eklige oder zynische Passagen (die aber der Vollständigkeit der Lektüre halber dennoch in den Roman, so wie wir ihn vor uns haben, mit eingehen).

William Karlsson, oder Billy, arbeitet als niedere Aushilfskraft im Krankenhaus. Eigentlich ist er Schriftsteller oder möchte einer sein, aber mit irgendetwas muss der Mensch ja Geld verdienen. Aus den Gesprächen zwischen Autor und Billy geht zunächst nur hervor, dass Karlsson das Krankenhaus in die Luft jagen wird. Über das Warum, das Wie und das Überhaupt dürfen Leser und Leserin den gesamten Roman hindurch Vermutungen anstellen.

Verschiedene Seitenhandlungsstränge entfalten sich. Karlsson führt einen Psycho-Kleinkrieg mit seinem Vorgesetzten, der ihm verboten hat, auf dem Klinikgelände zu rauchen. Ein Euthanasiediskurs wird angerissen. Es bleibt unklar, welche Rolle Karlsson bei einem ungeklärten Todesfall im Krankenhaus spielt. Karlsson ergeht sich in Auslöschungsfantasien. Mal scheint er ein Nihilist reinsten Wassers zu sein. Und dann doch irgendwie wieder nicht.

Die Handlung entfaltet sich parallel auf äußerer Roman- sowie innerer Roman-im-Roman-Ebene, wobei häufig nicht völlig klar wird, wer der Autor welcher Passagen ist: Autor, Billy oder Karlsson. Zudem ist die Figur des Autors leicht zu verwechseln mit Declan Burke selbst, da die Autorfigur beispielsweise Bücher mit denselben Titeln geschrieben zu haben scheint wie der wahre Autor. Mitunter verwischen die Grenzen zwischen den Ebenen bis zur Unkenntlichkeit.

Natürlich ist diese ganze Selbstbezüglichkeit zunächst nicht ganz unanstrengend zu lesen – vor allem, da Billy als Autor zum bildungshuberischen Philosophieren neigt –, macht aber, wenn man sich erst einmal eingewöhnt hat in das metatextuelle Spiel, erstaunlich viel Spaß. Ein echtes Spannungselement wird auch durchgezogen – nämlich die Frage, ob die Sprengung des Krankenhauses tatsächlich stattfinden wird, und wenn ja, wie. Ein schöner Coup des Autors Burke besteht darin, dass es auf dem Höhepunkt dieses Themas gelingt, sämtliche Textebenen in eine einzige zusammenkrachen zu lassen. Das ist schon ziemlich überzeugend.

Das Erstaunlichste an diesem Meta-Roman aber ist die Tatsache, dass er allgemein als Krimi gilt und als solcher vermarktet wird. Das kann nur daran liegen, dass Declan Burke in seiner Heimat Irland als Krimiautor gut eingeführt ist und sich nun erlauben konnte, das Genre mal gründlich intellektuell zu schütteln. Wäre schön, wenn seine „echten“ Kriminalromane auch bald mal ins Deutsche übersetzt würden (gern auch wieder von Robert Brack). Denn eins ist sicher: Der Mann kann schreiben. Auch wenn er wohl manchmal Hilfe von seinen Figuren braucht. KATHARINA GRANZIN

Declan Burke: „Absolute Zero Cool“. Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2014, 320 Seiten, 18 Euro