ortstermin: Oldenburg empfängt die Multimedia-Künstlerin Laurie Anderson : Pappsüß und mit rot-gelben Schleifen
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Salzburg hat Mozartkugeln, Oldenburg hat „Pulvertürmchen“: pappsüße, mit Nougat gefüllte Heißhungerstopper. Laurie Anderson sieht nicht aus, als hätte sie ein Schokoholic-Problem. Klein, zart, intensiv, wirkt sie vielmehr – große Augen, tiefe Stimme, wenig Worte. Die Multimedia-Performerin, Lyrikerin und Lebensgefährtin von Lou Reed, ein Weltstar in der arrivierten Musikszene ebenso wie in der Kunst, ist zu Gast in Oldenburg. Ihre Tournee mit dem Programm „Homeland“ führt sie in Städte wie Barcelona, Prag und Rom. In Deutschland allerdings muss man in die Provinz reisen, um sie zu sehen: nach Lörrach in Baden, ins thüringische Rudolstadt – oder eben ins niedersächsische Oldenburg.
Die Zahl der Honoratioren, die sich zu ihrem Empfang im Rathaus versammelt haben, ist überschaubar: der Oberbürgermeister, der Kulturdezernent, die Leiterin des örtlichen Edith-Ruß-Hauses für Medienkunst. OB Gerd Schwandner lässt sein Wissen über das Werk Andersons funkeln, um gleich darauf einzuräumen, es am Morgen aus der „Internet Movie Database“ gesaugt zu haben. Sollte sich Laurie Anderson noch daran erinnern, dass sie einmal die Filmmusik zu „Polizeiruf 110“ geschrieben hat, dann behält sie das nun für sich. Dafür schwärmt Schwandner von seinen Plänen, Oldenburg in eine Universitätsstadt nach amerikanischem Vorbild zu verwandeln. Und versichert, dass die Oldenburger, dürften sie in den USA zur Wahl gehen, liberal wählen würden. Eine interessante Position: Schwandner ist in der CDU.
Laurie Anderson zeichnet ein zerstreutes Selbstporträt in das goldene Buch der Stadt. Dann bekommt sie einen Bildband überreicht und diese riesige Schachtel „Pulvertürmchen“ mit oldenburgisch-rot-gelben Schleifen. Warum nicht offensiv mit einer martialischen Vergangenheit als Garnisonstadt – und der Gegenwart als Kommando-Spezialkräfte-Standort – umgehen und die Insignien militärischer Sprengkraft zu Pralinen verwursten? Heutzutage beherbergt deren Vorbild, der Pulverturm, schließlich friedliche Keramik-Ausstellungen. Jetzt hat Anderson hat die Schleife aufgedröselt und eilt, mit offener Pralinenschachtel und entwaffnendem Lächeln auf die Journalisten zu. Nützt nichts: Sie muss die halb volle Packung mitnehmen nach draußen, auf den Stadtrundgang.
Fahrradfahrer sind die unumstrittenen Herrscher auf Oldenburgs Straßen. Glauben sie jedenfalls. Wer das nicht mitglaubt, wird gnadenlos zur Seite geklingelt – auch, wenn man ein Star ist und aus New York. Flankiert von der Museumsleiterin und dem Kulturdezernenten schlendert Anderson über eine Ampel, da hält ein Radfahrer direkt auf sie zu. „Ey!“, brüllt er: „Der Fußweg ist rechts!“
Danach bekommt Anderson einen exklusiven Einblick in die Ausstellung im Edith-Ruß-Haus, die gerade aufgebaut wird. Steht stoisch vor einer Video-Installation und hört sich absurde Texte über Kopfhörer an. Steht und steht. Ein Video amüsiert sie: Darin verwüsten Tiere eine Wohnung. Mehr Emotion lässt sie sich nicht anmerken, kein Kommentar. Höflich schüttelt sie einem jungen Künstler die Hand. Dann entdeckt sie den Museumsmitarbeiter, der an einer Steckdose nestelt. Die Pralinenschachtel im Anschlag, stürmt sie auf ihn zu: „Ich hoffe“, sagt sie, „Sie nehmen zwei!“ ANNEDORE BEELTE