Linke Initiative von Rechten vermöbelt

Linke Jugendliche besetzen eine leer stehenden Fabrik in Hennigsdorf. Die Polizei lässt sie gewähren. Aber Nazis greifen das alternative Jugendzentrum noch an demselben Abend brutal an. Stadtverwaltung zeigt sich gesprächsbereit

Das brandenburgische Hennigsdorf hat seit Mittwoch ein neues Jugendzentrum – auch wenn das von der Stadt an den nördlichen Stadtgrenze Berlins so nicht geplant war. Die Hennigsdorfer Antifaschistischen Initiative (HAI) hat mit Schülern und Jugendlichen die seit Jahren leer stehende Wäschefabrik in der Nähe des Bahnhofs besetzt. Während die Polizei die Besetzer gewähren ließ, griffen Neonazis noch am Mittwoch das Haus an.

„Um 21 Uhr bekamen wir einen Anruf, dass sich etwa 30 bewaffnete Neonazis vom Bahnhof in unsere Richtung bewegen“, erzählt Anna Koch, Sprecherin der HAI. „Die Nazis begannen sofort mit Leuchtspurmunition auf uns zu schießen und Steine zu werfen“, so Koch. Die rund 30 verbliebenen Besucher hätten sich im Gebäude verschanzt. Erst als die Jugendlichen sich mit Flaschen und Steinen zur Wehr setzten, hätten sich die Rechtsextremisten zurückgezogen. Verletzt wurden glücklicherweise niemand.

Die Polizei sei schon nach dem ersten Nazialarm angerufen worden. Doch erst nach einer Stunde seien vier Beamten ohne Helme gekommen, kritisiert die Sprecherin. Die Polizei bestätigte gestern den Überfall auf das Jugendzentrum. Die Angreifer hätten sich noch vor dem Eintreffen der Polizei entfernt, heißt es in einer Mitteilung. Beamte hätten 15 Personen der rechten Szene in der Nähe angetroffen, deren Personalien festgestellt und ihnen Platzverweise erteilt.

„Der Angriff überrascht uns überhaupt nicht“, sagt Toni Peters vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum in Berlin. Das rechtsextreme Spektrum in Hennigsdorf sei als äußerst gewaltbereit bekannt, nur habe es bisher an möglichen Angriffspunkten in der Umgebung gefehlt. „Durch den rechten Szeneladen On The Streets haben auch viele Neonazis aus dem Umland einen zentralen Bezugspunkt in Hennigsdorf“, so Peters.

Für die nächsten Tage rechnen die Besetzer mit weiteren Angriffen. Trotzdem wollen sie in dem maroden Haus bleiben. Die Stadtverwaltung zeigt sich gesprächsbereit. „Wir haben den Jugendlichen vorgeschlagen, den Besitzer des Hauses zu kontaktieren“, sagte der Hennigsdorfer Jugendbeauftragte Bernd-Udo Rinas. Auch bei einer internen Sitzung mit dem stellvertretenden Bürgermeister sei die Besetzung Thema gewesen.

„Wir waren schon lange auf der Suche nach einem Ort, um Partys und Konzerte mit antifaschistischem Anspruch zu veranstalten“, erzählt Anna Koch. Im bestehenden städtischen Jugendzentrum Konradsberg sei antifaschistische Jugendarbeit nicht möglich. Als ihre Gruppe dort im letzten Jahr eine Party feiern wollte, habe ihnen das Jugendhaus ausdrücklich untersagt „gegen Nazis“ auf die Plakate zu schreiben, berichtet Koch. Zudem hätten sie auch Neonazis zur Party hereinlassen müssen. Seit Oktober habe die Gruppe erfolglos mit dem Jugendbeauftragten über ein eigenes Zentrum verhandelt. „Die Besetzung war für uns der letzte Ausweg“, fügt sie hinzu.

„Alle Formen von Extremismus finden bei uns keinen Platz“, entgegnet Bernhard Witt, Mitarbeiter des Jugendzentrums Konradsberg. Das Haus sei für alle Jugendlichen offen, nur verfassungsfeindliche Symbole aller Art seien verboten. „Wir haben hier im Haus Iraner, Russen sowie rechte und linke Jugendliche – alle sind willkommen“, so Witt.

JOHANNES RADKE