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Archiv-Artikel

MANCHE TRADITIONEN SIND VERSCHWUNDEN UND ES IST GAR NICHT SCHADE DRUM: DIE HEXENVERBRENNUNG ETWA. JETZT KÖNNTEN MAL DIE SCHWARZ GESCHMINKTEN „MOHREN“ FOLGEN Negrophobe Weltenretter

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Als vor etwa einem Jahr in Augsburg für die Sendung „Wetten dass“ mehr als hundert Menschen ihr Gesicht mit Schuhcreme schwärzten, um Jim Knopf, einen dunkelhäutigen Jungen aus dem Kinderbuch, darzustellen, fiel es dem einen oder anderen vor dem Fernseher auf, dass dies eine rassistische Geschmacklosigkeit ist, die in der Tradition des aus dem Theater bekannten Blackface steht.

Nun ist Jim Knopf tatsächlich ausdrücklich dunkelhäutig. Wie soll man ihn denn anders darstellen können, fragt sich der hellhäutige Augsburger angesichts solcher Saalwette ratlos, als mit Schuhcreme oder Kohle? Denn so lautete der Aufruf: „Schwarz geschminkt, mit Schuhcreme oder Kohle.“ Die Antwort an die Menschen in Augsburg ist ziemlich schlicht: gar nicht.

Man soll seine Hautfarbe gar nicht darstellen. Weil es falsch ist. Es gibt keine zwei Hautfarben, von denen die eine schwarz und die andere weiß ist, es gibt ungefähr so viele Hautfarben, wie es Menschen gibt und die verschmierte Farbe auf den Gesichtern der Augsburger kam der Hautfarbe eines beliebigen Menschen dunklerer Hautfarbe so nahe wie eine Schweineschnauze meiner Nase. Allein, dass so etwas wie Hautfarbe in einem öffentlichen Aufruf mit so etwas wie Schuhcreme zusammengebracht wird, kann nicht anders als mit gedankenlosem Rassismus erklärt werden.

In Emden, an der niederländischen Grenze, kommt jedes Jahr der „Sinterklaas“, eine Art niederländischer Nikolaus, zu Besuch über die Grenze. Mit dabei hat er seine Helfer, die „Zwarte Pieten“, die ganz von ungefähr in dieser traditionellen Vorweihnachts-Geschichte die Rolle derjenigen übernehmen, die die unangenehmen Hilfsarbeiten erledigen. In den Niederlanden hat es in den letzten Wochen einiges an Ärger ob dieser Tradition gegeben, so hat Verene Shepard, eine jamaikanische Professorin für Sozialgeschichte, Mitglied einer Arbeitsgruppe bei der Hohen Kommission der Vereinten Nationen für Menschenrechte, in einem Brief gefordert, das Sinterklaasfest gleich ganz abzuschaffen, was in den Niederlanden für großen Ärger sorgte. Das höchste niederländische Verwaltungsgericht entschied auf eine Klage hin, dass die Pieten O. K. sind, also sind sie O. K.

Ohnehin meinen die meisten Niederländer, die Pieten seien ja keine „Mohren“, auch wenn sie da und dort so genannt werden, „Mooren“ nämlich, und sie seien also nur so schwarz, weil sie durch den Schornstein kröchen. Wie man auf den Fotos von dem Emdener Weihnachtsbesuch sehen kann, tragen diese Ruß-schwarzen Pieten aber nicht nur schwarze Farbe im Gesicht, sie tragen auch Afroperücken, und würde man die niederländischen und Emder Traditionalisten fragen, würden sie vielleicht antworten, dass diese praktischen Perücken traditionell zur Schornsteinreinigung dienen, und die bunten Puffhosen und die dick angemalten roten Lippen, die müsse ein durch den Schornstein rutschender „Moor“ einfach auch haben.

Wer würde dabei schon an die Sklaverei denken, an den „Kammermohren“ des sechzehnten Jahrhunderts? Nein, das ist doch weit hergeholt. Das sind doch alles nur, wie der Kommentator Rudolph sich auf der NDR- Seite äußert, „negrophobe Weltenretter“. Also die, die in dieser Tradition rassistische Hintergründe sehen. Das sind die „negrophoben Weltenretter“.

Im Emsland findet man das alles gar nicht schlimm. Und schließlich, so das Hauptargument sowohl der Emder als auch der Niederländer, ist das alles ja eine Tradition, und Traditionen, da geht nichts drüber. Viel ist uns schon verloren gegangen. Die Tradition der Sklaverei, die Tradition der Hexenverbrennung und die schöne Tradition, „was Lebendes“ mit einzumauern. Und alles wegen der Gutmenschen und der „negrophoben Weltenretter“, die alle keine „tatsächlichen Probleme“ haben, wie Kommentator Kurt auf selber NDR-Seite bemerkt. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.