: Gesetzentwurf mangelhaft
FRAUEN Ex-Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hält Manuela Schwesigs Quotengesetz für „nicht verfassungskonform“, weil es nicht ambitioniert genug sei
HANS-JÜRGEN PAPIER
VON HEIDE OESTREICH
BERLIN taz | Kritik von ungewöhnlicher Seite: Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gilt als konservativ – aber das Quotengesetz von Manuela Schwesig (SPD) ist ihm nicht ambitioniert genug. Mehr noch: „Der Gesetzentwurf wird an der bisherigen, nicht verfassungskonformen Praxis kaum etwas ändern“, sagte Papier der taz.
Der Staatsrechtswissenschaftler bezieht sich auf den – bisher wenig beachteten – zweiten Teil des geplanten Quotengesetzes, dessen Referentenentwurf der taz vorliegt. Im ersten Teil wird die Quote für die Wirtschaft festgelegt, im zweiten das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst novelliert. Darin findet sich als Kern nach wie vor die Quotenformulierung: Frauen seien bevorzugt einzustellen und zu befördern, solange sie unterrepräsentiert sind. „Voraussetzung für die Bevorzugung ist, dass Bewerberinnen die gleiche Qualifikation aufweisen wie ihre männlichen Mitbewerber“, wird eingeschränkt.
„Leistungsbezogene Quote“ nennen die JuristInnen die Formulierung, die sicherstellen soll, dass nicht unterqualifizierte „Quotenfrauen“ auf die höheren Posten gelangen. In dieser Form sind viele Quotengesetze abgefasst, aber „genau diese Formulierung der ‚gleichen Qualifikation‘ lässt die Quote in der Regel leer laufen“, sagte Papier zur taz. Dies habe er bereits in einem Gutachten für die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen festgehalten, die nach Verbesserungsmöglichkeiten für ihr wenig wirksames Gleichstellungsgesetz suchte. Die „gleiche Qualifikation“, die auch im NRW-Gesetz steht, sei ein Problem.
Papiers Beobachtung ist, dass so etwas wie eine „gleiche Qualifikation“ in der Realität nicht vorkommt. Die Beurteilungen der KandidatInnen im öffentlichen Dienst seien derart detailliert, dass man immer irgendwo einen kleinen Vorsprung für den männlichen Kandidaten einbauen könne, wenn man diesen lieber befördern würde.
Mehr noch, die Verwaltungsgerichte forderten geradezu eine Reihung der KandidatInnen gemäß ihrer Qualifikation, so Papier. Und diese Reihung sehe natürlich nur einen Spitzenplatz vor. Wenn dort ein Mann sitze, gebe es offiziell keine „gleiche Qualifikation“, nach der eine Frau bevorzugt werden könne. „Damit aber ist das Grundgesetz, das in Artikel 3 festschreibt, dass der Staat ‚aktiv auf die Beseitigung bestehender Nachteile‘ bei der Gleichstellung hinwirken solle, faktisch ausgehebelt“, so der 71-Jährige.
„Sie können immer irgendein Pünktchen finden, nach dem ein Mann dann als besser qualifiziert eingestuft werden kann“, sagte Papier. Insbesondere Teilzeittätigkeiten etwa würden Frauen oft als „mangelndes Engagement“ ausgelegt. „Die Quotenregelung läuft damit praktisch leer.“ Papier hält insgesamt für problematisch, dass das Verfassungsziel der Gleichstellung hier zum „Hilfsmerkmal“ heruntergestuft wird, das erst nach dem Merkmal „Qualifikation“ greift. Beide sollten als gleichwertig gelten, meint der Jurist.
Papier schlägt vor, dass die Ausdifferenzierungen der Bewertungen, die für eine Einstellung oder eine Beförderung gelten sollen, begrenzt werden. Statt „gleicher Qualifikation“ solle der Gesetzestext eine „im Wesentlichen gleiche Qualifikation“ vorsehen. Dann könne man nicht mehr Erbsen zählen, ist seine Hoffnung. Der EuGH habe diese Möglichkeit bereits in einem Urteil eröffnet: Die Qualifikation müsste gemäß EU-Recht nur „gleichwertig oder fast gleichwertig“ sein, heißt es in einem Urteil vom 6. Juli 2000, auf das Papier sich bezieht.
Das CSU-Mitglied legt den Finger in eine tiefe Wunde: Seit dem ersten „Frauenfördergesetz“ von 1994 hat sich in den Führungspositionen im öffentlichen Dienst trotz Quote nicht allzu viel getan: Die Friedrich-Ebert-Stiftung zählte etwa 2012 in den obersten Bundesbehörden ganze 14 Prozent Abteilungsleiterinnen. In der Vorständen öffentlicher Unternehmen saßen 5,5 Prozent Frauen. In den öffentlich-rechtlichen Banken verringerte sich der Anteil 2011 auf null.
Papiers Vorschlag macht derzeit in den Länderministerien die Runde und stößt dort auf großes Interesse. Warum Bundesfamilienministerin Schwesig ihn nicht berücksichtigte, ist bisher ihr Geheimnis.