: Die Fronten aufbrechen
NAME: Halima Alaiyan ALTER: 64 TAT: organisiert deutsch-isralisch-palästinensiche Jugendbegegnungen KONTAKT: www.talat-alaiyan.de WÜRDE PREISGELD VERWENDEN FÜR: künftige Begegnungen, die ihre Stiftung organisiert
Der taz-Panter für besonderes soziales und politisches Engagement wird in diesem Jahr zum dritten Mal verliehen. Es gibt eine LeserInnenwahl und eine Juryentscheidung. Am 11. August beginnt die LeserInnenwahl. Die beiden Preise werden am 15. September in Berlin verliehen. www.taz.de/panter
Panter-Kandidatin (6): Halima Alaiyan bringt deutsche, israelische und palästinensische Jugendliche zusammen
Halima Alaiyan sitzt an einem großen Schreibtisch in ihrer Praxis, eigentlich dem Platz ihrer Sprechstundenhilfe. Als sie aufschaut, breitet sich sofort ein beherztes Lächeln auf ihrem Gesicht aus; man könnte meinen, ihre dunklen Augen unter den schwarzen Locken funkeln. Tatkräftig und energisch, so erscheint die 64-Jährige auch nach der herzlichen Begrüßung. Und während des gesamten Gesprächs, in dem sie aus ihrem Leben erzählt und begründet, wieso sie mit großem Einsatz Ferienfreizeiten für israelische, palästinensische und deutsche Jugendliche organisiert.
Halima Alaiyan wurde in der Nähe von Tel Aviv geboren und floh mit ihren Eltern noch als Kind nach Ägypten. Nach dem Gefühl des Fremdseins im israelischen Gebiet, das eigentlich ihre Heimat ist, fühlte sie sich in Ägypten ebenso unerwünscht und unterdrückt. „Wir waren nirgends anerkannt, kannten keine Geborgenheit“, erinnert sie sich. Erst in Saarbrücken – wohin sie ihrem Mann folgte – hatte sie ein gutes Gefühl. „Deutschland war das Paradies.“ Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenwürde – die einstigen Fremdworte für Halima Alaiyan wurden Wirklichkeit.
Doch ihr Glück musste sich die Ärztin hart erarbeiten: Mit drei Kindern absolvierte sie ihre Ausbildung zur Orthopädin, kümmerte sich um den Haushalt – und vor allem um ihren kranken Sohn. Talat Alaiyan, nach dem ihre Stiftung benannt ist, litt an einer unheilbaren Blutkrankheit und musste intensiv betreut werden. 1989, im Alter von 23 Jahren, starb Talat.
Halima Alaiyan erzählt von der Trauer und der Verzweiflung, die sie nach dem Tod des Sohnes bewältigen musste. „Der Sinn meines Lebens ist verloren gegangen“, sagt sie. Bei einem Besuch in ihrem Heimatdorf – der nur möglich war, da sie mittlerweile deutsche Staatsbürgerin geworden war – hatte sie zum ersten Mal die Idee, eine Stiftung für Jugendliche aus Israel und Palästina zu gründen. In Gesprächen mit Juden und Arabern merkte sie, dass das Wissen über den jeweils anderen lückenhaft ist. Auch sie selbst habe als junger Mensch nie gelernt, was den Juden wirklich passiert sei; für sie waren die Israelis immer die Bösen. „Die Kinder werden mit diesen Feindbildern erzogen, auf beiden Seiten“, erklärt sie. Diese Erkenntnis sei ihr Schlüsselerlebnis gewesen.
Vor vier Jahren hat Halima Alaiyan die Talat-Alaiyan-Stiftung gegründet; 2004 hat die erste Begegnung zwischen israelischen, palästinensischen und deutschen Jugendlichen stattgefunden. Vier Begegnungen hat Alaiyan bisher organisiert, 110 Jugendliche sind insgesamt zusammengekommen. Die Ärztin steht auf und zeigt auf einige Fotos, die an der Wand eines Behandlungszimmers in ihrer Praxis hängen. Es sind Bilder von den gemeinsamen Ausflügen der Jugendlichen: vor dem Europaparlament in Straßburg, in Schengen, an den Gräbern von Verdun, an der deutsch-französischen Grenze. „Für die jungen Menschen ist es unbegreiflich, dass man hier einfach so über die Grenze spazieren kann“, sagt Halima Alaiyan und erzählt von einem Jungen, der fragte, ob er sich jetzt ausziehen müsse und wo denn die Soldaten seien. Für Alaiyan ist es wichtig, dass die Jugendlichen erkennen, dass ein friedliches Miteinander zwischen ehemaligen Feinden möglich ist.
So simpel die Idee klingt, Jugendliche aus verfeindeten Gebieten zusammenzuführen, so kompliziert ist die Umsetzung. Halima Alaiyan erzählt, wie mühsam die Organisation ist – sie erzählt es nicht resigniert, sondern mit einer Vehemenz, die erkennen lässt, dass sie sich von den Problemen nicht irremachen lässt. „Das Visum, die Anreise, die Auswahl der Jugendlichen vor Ort – das alles steht immer kurz vorm Scheitern“, sagt sie. Deshalb sei sie auch auf das Engagement von Friedensorganisationen angewiesen, die die Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren zu den Begegnungen ermuntern. Das nächste Treffen findet im August statt; gemeinsam mit Historikern und Dolmetschern werden die jungen Menschen ein ausführliches Programm in Deutschland absolvieren. Ferien sehen anders aus: Neben Ausflügen, Filmen und Vorträgen steht ein Besuch des Konzentrationslagers in Sachsenhausen und des Jüdischen Museums in Berlin an. „Ich will, dass die Jugendlichen die Geschichte kennen lernen, dass sie erfahren, was während des Holocaust passiert ist“, betont Alaiyan, die allein das Grundkonzept für den zweiwöchigen Aufenthalt erarbeitet.
Die Kosten für die Begegnung werden komplett von der Stiftung übernommen. Deshalb ist Halima Alaiyan auf Spenden und Sponsoren angewiesen. Selbst hat sie bereits viel eigenes Kapital in die Stiftung gesteckt; unter anderem einen Teil des Geldes, das sie durch den Verkauf ihrer ersten Praxis bekommen hatte. Zudem hat sie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben; die Einnahmen aus ihrem Buch „Vertreibung aus dem Paradies“ sowie dem daraus entstandenen Hörbuch fließen komplett in die Stiftung.
Halima Alaiyan ist geschäftstüchtig, so viel steht fest. Sie würde alles tun für die Stiftung und die Jugendbegegnungen, die eine wichtige Rolle in ihrem Leben eingenommen haben. Ihre Motivation ist aus dem schmerzlichen Verlust ihres Sohnes entsprungen, als sie ihrem Leben wieder einen Sinn geben wollte. Ihr heutiger kämpferischer Einsatz aber dient allein einem einzigen Zweck: „Ich möchte die Fronten zwischen den Völkern aufbrechen. Die Menschen sollen in Frieden miteinander leben können.“ Halima Alaiyan leistet mit ihren Begegnungen einen Beitrag dazu. Und ihre Begeisterung ist ansteckend. Etwa wenn sie davon erzählt, wie gut sich die Jugendlichen verstehen. „Es sind keine Unterschiede deutlich, wenn die jungen Menschen zusammen sind“, sagt sie, wieder mit diesem Strahlen im Gesicht.
Und sie erzählt, dass es bei jedem Treffen bisher auch eine Liebesgeschichte gegeben habe. Unabhängig von der Herkunft. Gerade sei ein junger Deutscher in den Osterferien zu seiner neuen Freundin nach Israel gereist – sie hatten sich im vergangenen Jahr kennen gelernt. Schöner kann Völkerverständigung tatsächlich nicht sein.
JUTTA HEESS