: Der Mörder ist immer ein Grieche
SPANNUNG Abgeschlagene Köpfe in Athen – in der Finanzbranche geht die nackte Angst um. „Faule Kredite“, der neue Roman von Petros Markaris, ist eine unterhaltsame Satire auf die griechische Misere
Es ist heiß in Athen. Kommissar Kostas Charitos feiert die Vermählung seiner Tochter Katarina mit dem Arzt Fanis. Seine Frau Adriani dirigiert ihn durchs Verkehrschaos der Stadt. Charitos hat sich von seinem antiken Mirafiori getrennt, dem Navigationssystem des neuen kleinen Seats misstraut der erfahrene Polizist aber. Auf der Hochzeit ist die halbe Athener Polizei versammelt, Tochter Katarina schlägt ebenfalls eine juristische Laufbahn ein. Nur Stathakos, Chef der Antiterrortruppe ist nicht eingeladen. Das hat gute Gründe: Charitos, Chef der Mordkommission, und Stathokos können sich nicht ausstehen. Doch schon bald müssen sie zusammen ermitteln. Ein Serienmörder geht um, inmitten von Finanz- und Schuldenkrise.
Zunächst ist es der Bankmanager Sissimopoulos, dem mit einem Schwerthieb der Kopf vom Rumpf abgetrennt wird. Es folgen die Häupter des Hedgefondsmanagers Robinson sowie des Ratingagenten Hendryk de Moors. Ein weiterer Hieb gilt Kyriakos Fanariotis, Chef eines Inkassobüros. Zeitgleich überschwemmen Unbekannte das Athener Stadtzentrum mit antikapitalistischen Plakaten und Aufklebern: „Sofortige Zahlungsverweigerung! Boykottiert die Banken!“
Die griechische Hauptstadt brodelt. Es gilt zu handeln. Neben den Köpfen der Manager werden vor allem die mittleren Einkommen gekappt. Und das trifft auch die Mordkommission. In immer kürzeren Abständen muss Kommissar Charitos zum Rapport erscheinen, vor den Polizeipräsidenten, den Innenminister, vor die Kapitalbranche, die Medien, vor Gegenspieler Stathakos und die ganze Familie – Katarina, Fanis und Adriani – sie alle haben ihre Theorien. Charitos bleibt als letzte Genugtuung den Anweisungen seine Navigationssystems keine Folge zu leisten, das bei den chronisch verstopften Straßen ohnehin wenig Sinn macht.
Vor den Augen von Frau Adriani springt der verschuldete Nachbar vom Balkon, da gehen auch im Haushalt Charitos kurzfristig die Rollos runter. Nach getaner Arbeit verfolgt Charitos im Fernsehen den angeblich immer neuesten Stand der Ermittlungen in Sachen Geköpfte und Schuldenkrise. Stathakos hat eine terroristische Verschwörung im Visier. Doch auch Kommissar Charitos – konservativ, rustikal, humanistisch – bleibt nicht untätig: Seine Ermittlungen führen auf Flohmärkte und ins Migrantenmilieu.
In den ganz großen Geschichte liegen oft viele kleine und spannendere verborgen. Markaris lässt sein Personal aus jeder erdenklichen Richtung über den Staatsbankrott lamentieren. Und so gewinnt man in jeder Szene zugleich auch eine Vorstellung über das populäre Palaver in der griechischen Polis. Gefüllte Tomaten, Auberginen-Imam oder üble Hedgefondssuppe, von der niemand so genau weiß, wer sie angesetzt hat: War’s ein Koch von den Kaimaninseln, und ist der in Wahrheit nicht Ausländer, sondern selber Grieche?
Doch Kommissar Charitos beunruhigt so leicht nichts, auch wenn sein vierzehntes Monatsgehalt gerade gestrichen wurde. Es ist lustig zu verfolgen, wie Markaris seinen Helden in die Aufstände wildgewordener Rentner geraten lässt, wie er faule Kredite und abgeschlagene Köpfe mit dem griechischen Alltagsgenörgel über die ausländische Troika aus EU, EZB und IWF mit der Handlung verbindet. Mit großem Genuss beschreibt Markaris das Athener Verkehrschaos, eine Groteske, die für die ganze Gesellschaft steht. Die Verkehrspolizei regelt, wo es eigentlich nichts mehr zu regeln gibt.
Die eine Hälfte Griechenlands jammert, die andere wendet sich zynisch von den Problemen ab. Gemeinsam ist aber beiden Seiten ein recht ausgeprägter Galgenhumor: „Schließlich melde ich mich telefonisch bei Gikas: ‚Können Sie mir einen Gefallen tun?‘, frage ich ihn. ‚Wenn’s nicht die Herabsetzung des Renteneintrittsalters ist‘, entgegnet er trocken.“ ANDREAS FANIZADEH
■ Petros Markaris: „Faule Kredite. Ein Fall für Kostas Charitos“. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2011. 396 Seiten, 22,90 Euro