Nicht alle lernen fliegen

Die neuen Ausstellungen des Museums für Naturkunde bestechen durch die Transparenz der Wissenschaft und die Ästhetik der Präsentation. Und werben ziemlich überflüssig mit Superlativen

VON CORD RIECHELMANN

Das Leben war in den Pflanzen doch ganz gut aufgehoben. Warum musste es laufen lernen, hat Gottfried Benn mal gefragt, leicht genervt vom Leben auf zwei Beinen. Und als hätten sie die Frage noch im Ohr, haben die Macher der neu gestalteten Ausstellungsräume des Berliner Museums für Naturkunde das Motto „Evolution in Aktion. Als das Leben laufen lernte“ gewählt.

Die Neukonzeption der Ausstellung war aus verschiedensten Gründen notwendig geworden. Viele Darbietungsformen der Exponate waren wissenschaftlich überholt und auch Objekte wie der Brachiosaurus Brancai, das mit einer Höhe von etwas über 13 Metern größte Saurierskelett der Welt, musste überarbeitet werden. Zum anderen hatte das Museum eine neue Organisationsstruktur erhalten. 2005 wurde erstmals ein Generaldirektor berufen, um Aktivitäten wie Forschung und Ausstellungsbetrieb zu koordinieren.

Die neuen Räume sind also der erste Arbeitsnachweis der neuen Organisationsform. Und gemessen am Anspruch, Forschung und Ausstellungsbetrieb nicht zu trennen, sondern in den öffentlichen Räumen die Arbeit in den Labors und an den Schreibtischen aufscheinen zu lassen, geht das Konzept auf. So kann man in der großen Saurierhalle die zu lebenden Tieren gewordenen, in ihrer rekonstruierten Umwelt sich bewegenden Saurier verfolgen in einer Computer generierten Simulation, wie sie schon seit längerem zum methodischen Rüstzeug der Paläobiologie gehört.

Die Überlegung, die Forschung direkt in den Ausstellungsbetrieb und damit auch in die Lehre einfließen zu lassen, steht konträr zur allgemeinen forschungspolitischen Tendenz, sogenannte Spitzenforschung ganz aus der Lehre herauszunehmen. Im Naturkundemuseum kann man sehen, was seine Mitarbeiter – Wissenschaftler, Präparatoren, Designer u.a. - tun.

Und es wird in den Räumen nachvollziehbar, wie im Laufe der Evolution einerseits Lebensformen wie die Saurier aussterben oder in andere Lebensformen transformiert werden, während andere Lebensformen erhalten bleiben: Zum Beispiel sehen die fossilen Haie nicht wesentlich anders aus als die heute lebenden Haiarten. Während die Saurier erst kleiner und leichter wurden und dann das fliegen lernten.

Mit dem Archäopteryx stellt das Naturkundemuseum erstmals das Original eines der vielleicht berühmtesten und meist abgebildeten Fossilien überhaupt auf. Der Urvogel vereint Merkmale von Reptilien, wie Zähne und Krallen an den Flügeln, mit solchen heute lebender Vögel, wie Federn und einer bestimmten Hirnstruktur, mit der Vögel ihre Flugbewegungen koordinieren. Der Archäopteryx ist für die Evolutionstheorie bis heute von herausragender Bedeutung, weil er eines der wenigen Fossilien ist, das eine Übergangsform darstellt zwischen ausgestorbenen Lebensformen und heute lebenden Arten.

Die Vielfalt, in der Tiere heute die Erde besiedeln, ist an der sogenannten Biodiversitätswand im Museum aufgespannt. Der Schaukasten zeigt Vögel, Säugetiere, Krebse und andere Tiere in einer Weise, die vermuten lässt, das die Ausstellungsdesigner auch Kenner der modernen Kunst sind. Es ist überhaupt auffällig, das die Neukonzeption frei von ästhetischen Fehlentscheidungen ist. So wird das Urpferd nicht einfach in eine Vitrine gestellt, sondern tritt auf einer leicht erhoben Bühne mit Grasland auf. Daneben erklärt eine Tafel die Koevolution von Graslandschaften und Pferden. Dabei sind die Tafeln verständlich nachvollziehbar, ohne auf die jeweiligen wissenschaftlich relevanten Eigenheiten des Dargestellten zu verzichten.

Was allerdings ein bisschen nervt, ist das dauernde Betonen der Superlative des Museums. Man sieht doch das der Brachiosaurier groß ist, toll restauriert und sehr gut ausgeleuchtet. Das muss einem doch nicht noch immer wieder gesagt werden. Der Superlativismus korrespondiert allerdings mit der ungebrochen darwinistischen Darstellung der Evolutionstheorie. Selbst im Katalog wird die Formel vom Überleben des Fittesten als eine Selbstverständlichkeit präsentiert, die immer wieder zu den immer besser angepassten Formen führe. Dabei ist Evolution doch viel mehr als das, sie lässt gerne auch das Mittelmaß leben. So sprechen schon die Haie eine andere Sprache als die des ewigen Weiter und Besser.

Museum für Naturkunde, Invalidenstr. 43, Di.–Fr. 9.30–17, Sa., So. 10–18 Uhr