Perücken und Kopftücher

Katja Eydel hat während eines Stipendiums in Istanbul Bilder der Vergewisserung der nationalstaatlichen Identität gesammelt: „Die Erfindung der Türkei“ in der NGBK

Vor knapp drei Monaten ging es in der Türkei um die Wahl des Staatspräsidenten. Die Sozialdemokraten wollten einen nichtislamistischen Alternativkandidaten für die Wahl. Stattdessen nominierte die AKP den Islamisten Abdullah Gül, dessen Frau ein Kopftuch trägt. Dieses Kopftuch ist bekanntlich nicht nur ein Kleidungsstück und wurde in der medialen Diskussion wieder einmal zum umkämpften Zeichen.

„Dass es nun am 22. Juli zu neuen Parlamentswahlen kommen wird, hat nicht wenig mit diesem Kopftuch zu tun“, sagt Katja Eydel. „Diese Auseinandersetzung auf der Ebene der Repräsentation ist in der Türkei permanent anzutreffen.“ Katja Eydel war 2005 im Rahmen eines Istanbul-Stipendiums für acht Monate in der Türkei. Ihre Fotos zeigt sie nun in der NGBK unter dem Titel „Die Erfindung der Türkei“.

Es geht Eydel um das Nachzeichnen der Erfindung des Nationalstaates Türkei bis hin zu den Folgen dieser rasanten Neugründung heute. Als 1923 Kemal Atatürk zum ersten Präsidenten der aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen Republik Türkei wurde, brachte das eine weit reichende Säkularisierung. Diese war, wenigstens oberflächlich, so wirksam, dass das Alphabet, der Kalender und viele Feiertage verändert wurden. Die neu gefundenen, öffentlich inszenierten Rituale stehen in Eydels Fokus. Sie fotografierte Paraden, Ehrungen und auch Demonstrationen. Die Bilder ergeben ein Kabinett der unterschwelligen Uneindeutigkeit. Spricht nur die Leere vergangener Repräsentationsmuster aus dem Abgebildeten oder ist es ein wahrer Identitätsgehalt, der den Menschen im Gesicht steht? In Eydels Bildern von „Musterinstitutionen“, wie sie sie nennt, blicken die Menschen oft verloren, und nicht selten wirken sie wie zu Statisten degradiert.

Wie virulent die kemalistische Symbolsprache noch immer ist, wird an der Architektur der Städte Istanbul und Ankara untersucht. Die Gegenwart vieler modernistischer Gebäude spiegelt den Reformprozess Atatürks und macht auf einen oft unterschlagenen Teil der Utopiegeschichte aufmerksam: Nicht wenige Bauhaus-Architekten gingen eben nicht nach Amerika, sondern nach Ankara, um dem dortigen Zukunftsversprechen zu architektonischer Form zu verhelfen. Aus dem Dorf Ankara wurde so eine Zweimillionenstadt, in der die Modernismusbauten auch als Zeichen für einen aufgezwungenen, vielleicht zu schnell geführten Fortschritt stehen.

Ein Bild zeigt, wie sich die Mitglieder des Parlaments alljährlich in einer Dorfschule zusammendrängen, um die Entstehung des Nationalstaates zu feiern. In dem kleinen Saal, gefüllt mit anzugtragenden Parlamentariern und Menschen in Trachten, mit Turban und Säbel, wird es ziemlich eng. Das Abrufen kultureller Symbole inszeniert Eydel aber nicht als Farce. Auf dem Bild „Taksim“ ist eine Menschenmenge beim Besuch eines Konzertes dokumentiert. Erst beim zweiten Hinschauen erschließt sich, dass es fast nur Männer sind, die vor einer geschmückten Bühne stehen. Katja Eydel meint dazu: „Das Bild erzählt etwas über das, was man nicht sieht. Nämlich die Abwesenheit von Frauen im öffentlichen Raum. Es gibt in der Ausstellung nur ein Bild, auf dem Frauen mit Kopftuch zu sehen sind. Die Abwesenheit produziert aber erst eine Frage.“

Die Bilder Eydels stellen einen Zusammenhang her zwischen den visionären Idealen der neu gegründeten Republik Atatürks und der Gegenwart ihrer gesellschaftlichen Konstruktion. Dass dazwischen ein Bruch zu verzeichnen ist, wird deutlich, wenn junge Studentinnen sich entgegen der säkularen Vorstellung Atatürks an der Pforte der Universität eine Perücke über ihr Kopftuch ziehen, um in das öffentliche Gebäude zu kommen. Diese Verdoppelung, in der künstliche Haare das Tuch verdecken, das die Haare verdeckt, pointiert Eydel zu einer Bilderzählung, deren Ausgang offen bleibt. TIMO FELDHAUS

NGBK, Oranienstr. 25, tägl. 12–18.30 Uhr, bis 19. August. Publikation 26 Euro. Am 19. 7. „Import–Export. Eine Reise in die Vergangenheit“, Dokumentarfilm von Eren Önsöz, 21 Uhr im Hof