: Jubel für Gesundheit made in Germany
In Deutschland Buhfrau, in den USA bewundert: SPD-Ministerin Ulla Schmidt freut sich über großes Lob von amerikanischen Gesundheitsexperten. Gastgeber rühmen die deutsche Mischung aus flächendeckender Krankenversorgung und Wettbewerb
AUS MINNEAPOLIS ADRIENNE WOLTERSDORF
„Herausragend“, „einige der besten Köpfe der Welt“, „vorbildlich“ – nur wenigen Deutschen käme es in den Sinn, das eigene Gesundheitssystem so zu loben. Doch alles ist eine Frage der Perspektive. Schaut man von der anderen Seite des Atlantiks auf die deutsche Krankenversorgung, sieht diese ziemlich propper aus, so zumindest lautete der Tenor beim „American & German Healthcare Forum“ in den USA.
Das jährliche Forum, das diese Woche in Minneapolis im nördlichen US-Staat Minnesota stattfand, versammelte die wichtigsten Vertreter der Gesundheitsbranche beider Länder, darunter auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Abgesandte einiger Pharmakonzerne.
Das Timing für den transatlantischen Ideenaustausch hätte besser nicht sein können. Gerade macht Michael Moore das Thema US-Gesundheitssystem mit seinem Film „Sicko“ zum Kino-Blockbuster. In Maine und Massachussetts laufen erstmals Pilotprogramme zur Einführung einer flächendeckenden Krankenversicherung. Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat ehrgeizige Ideen einer Gesundheitsversorgung für alle, und die rund 20 Präsidentschaftskandidaten müssen wieder und wieder Fragen beantworten, wie die Krise der Krankenversorgung zu beheben sei.
Deutschland sei als Modell für die USA deshalb interessant, weil es Kür und Pflicht verbinde, erklärte Julia Bunn, eine Abgeordnete im Landesparlament von Minnesota, dem gesundheitspolitisch fortschrittlichsten US-Bundesstaat. Bunn bereitet für den Herbst eine Gesetzesvorlage zur Einführung einer umfassenderen Gesundheitsversorgung vor. Attraktiv findet sie am deutschen System, dass es „Wettbewerb und Pflichtelemente verbindet und dass Krankenversicherungen miteinander in Konkurrenz stehen“. Das mache das deutsche System weitaus interessanter als die verstaatlichten britischen und kanadischen.
Ohne es so offen auszusprechen wie die Ökonomin Bunn, gaben auch andere US-Vertreter in den Kaffeepausen zu verstehen, dass die Frage nach der Rolle des Staates in der US-Debatte ein so heißes Eisen sei, dass man sich daran nicht die Finger verbrennen wolle. Daher sei alles, was in den USA nach starkem Staat und Zwangsmodellen in der Gesundheitsversorgung aussehe, zum Scheitern verdammt, sagten sie. Deutschland scheine einen guten Mittelweg gefunden zu haben. Geradezu bewundernswert sei es, so einige Vertreter aus der US-Gesundheitsadministration, dass die Bundesrepublik es schaffe, die Preissteigerungen im Gesundheitswesen so weit zu deckeln, dass sie mit dem Wachstum des Bruttosozialprodukts einhergingen.
Davon können US-Bürger fürwahr nur träumen. Die US-Gesundheitskosten stiegen in den letzten fünf Jahren um sagenhafte 87 Prozent und sind die teuersten weltweit – bei einer bisweilen recht unterdurchschnittlich versorgten Bevölkerung.
Besonderes Lob erhielt der Innovationsstandort Deutschland, was Gesundheitsministerin Schmidt mit sichtlicher Zufriedenheit hörte. „In Deutschland arbeiten einige der fortschrittlichsten und brillantesten Ärzte weltweit“, meinte Stephen Oesterle, einer der US-Manager des aus Minnesota stammenden Medizingeräte-Giganten Medtronic. Ihr beachtliches Know-how führe ständig zu global notwendigen Innovationen. Problematisch sei aber, dass Innovationen in Deutschland kaum marktfähig gemacht werden könnten, weil dort, wie in der gesamten EU, das notwendige Kapital fehle. Hier könnte Deutschland durchaus von den USA lernen.
„Wir haben eigentlich mehr Gemeinsamkeiten, als man denkt“, befand Hubert H. Humphrey, Landespräsident Minnesota der AARP, einer US-weit rund 39 Millionen US-Bürger vertretenden US-Lobbyorganisation für ein besseres Gesundheitssystem. „Wir stehen alle vor den gleichen drei Herausforderungen: Überversorgung, Unterversorgung und Fehlversorgung“, sagte Humphrey.
AARP hat für den Herbst ein Arbeitstreffen mit Vertretern des deutschen Gesundheitssystems geplant. „Die Deutschen können von uns Qualitätsmanagement lernen, das machen wir nämlich viel besser. Wir wollen lernen, wie man Langzeitpflege für eine alternde Bevölkerung organisiert, das klappt nämlich in Deutschland ganz gut.“