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Archiv-Artikel

Ein Fall für die hausinternen Ethiker

DAILY DOPE (687) Die Dopingenthüllungen in Russland kommen IOC-Chef Thomas Bach sehr ungelegen

„Wir schauen in Monaco in die Zukunft“

THOMAS BACH WILL NICHT MIT RUSSLANDS DOPINGVERGANGENHEIT BEHELLIGT WERDEN

VON JOHANNES KOPP

Die Ethikkommission soll es wieder einmal richten! Bei der Fifa ist ja bereits ein Gremium mit diesem Namen damit befasst, die reichlichen Skandale des internationalen Fußballverbands aufzuarbeiten. Und in offenbar weiser Voraussicht hat auch der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) unbeachtet von der Öffentlichkeit 2013 eine derartige Institution eingeführt. Es ist eine Art Lagerungsstätte für all den Sondermüll, der heimlich nicht verklappt werden konnte.

So erklärte der mächtigste Sportfunktionär, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, angesichts der Belege in Bild, Ton und Schrift, mit denen die ARD einem systematisch anmutenden Dopingsystem in Russland auf die Spur kam: „Warten wir doch erst einmal ab, zu welchen Ergebnissen die Ethikkommission kommt.“ Craig Reedie, Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) appellierte ebenfalls an die IAAF-Ethikhüter, sie sollten für Aufklärung sorgen.

Manch ein Funktionär wie Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, war weniger gelassen geblieben und hatte erklärt, man müsse nun wohl die Ergebnisse der letzten Olympischen Winterspiele in Sotschi hinterfragen. Aber Thomas Bach will derzeit den olympischen Sport nicht beschädigt wissen. Die schlechten Nachrichten aus Russland kommen für ihn zum ungünstigsten Zeitpunkt, soll doch an diesem Wochenende auf der Sondervollversammlung in Monaco seine Reformagenda 2020 durchgewunken werden, bei der es im Kern angeblich um eine etwas bescheidenere Form der großen olympischen Festspiele geht. Signale des Aufbruchs sollten aus dem Fürstentum an der französischen Mittelmeerküste gesendet werden. Deshalb will Bach wegen der aktuellen russischen Erschütterungen nicht von der Tagesordnung abweichen: „Das eine Thema hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir schauen hier in Monaco in die Zukunft, die Vorfälle in Russland fanden in der Vergangenheit statt.“

Dabei konnte die ARD-Doku „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“ unter anderem dank der Whistleblowerin Julia Stepanowa, einer Mittelstreckenläuferin, mit Videoaufzeichnungen belegen, dass der russische Leichtathletik-Cheftrainer Alexej Melnikow Bestandteil eines Betrugssystems war. In einem Handymitschnitt gestand zudem Maria Sawinowa, die 800-Meter Olympiasiegerin von 2012, die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln. Thomas Bach sprach aber nur von „ernsthaften Anschuldigungen“, denen die Ethikkommission nachgehen müsse.

Das Gremium, dem die Aufklärungsarbeit überlassen werden soll, ist allerdings wiederum Bestandteil der IAAF, die durch die ARD-Dokumentation selbst belastet wird. Denn der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes, Valentin Balachnitschew, ist zugleich Mitglied des IAAF-Councils und der Finanzkommission. Die ARD legte Indizien vor, die dafür sprechen, dass der Funktionär am erkauften Startrecht der Marathonläuferin Lilija Schobuchowa beteiligt war. Die einst weltbeste Langstreckenläuferin hatte berichtet, dass sie russischen Funktionären 450.000 Euro zahlen musste, um trotz abnormer Werte im Blutpass bei den Olympischen Spielen 2012 starten zu dürfen.

Russlands Sportfunktionäre weisen Dopingverdächtigungen weit von sich. Balachnitschew bezeichnete die Geständnisse von Stepanowa als „Lüge“. Die Russische Antidopingagentur reagierte ebenfalls defensiv. Exekutivdirektor Nikita Kamajew sagte: „Es gibt keine Tatsachen und keine Originaldokumente, die einen Verstoß gegen Antidopingregeln belegen.“

Deutsche Sportler wie der Stabhochsprungweltmeister Raphael Holzdeppe urteilen weniger vorsichtig. Er twitterte: „Die Dopingdoku der ARD war schockierend! Wir können nur mit gutem Beispiel vorangehen und sauberen Sport weiterbetreiben.“ Wenn allerdings Russlands Leichtathleten wie von der ARD dokumentiert, überzeugt waren, ohne Doping seien keine Podestplätze zu holen, so stellt sich doch die Frage, wie bei der EM im Sommer in Zürich sich England, Frankreich und Deutschland im Medaillenspiegel noch vor den gedopten Russen platzieren konnten. Die Glaubwürdigkeit des Sports ist weit über Russland hinaus erschüttert.