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Archiv-Artikel

Die glamouröse Avantgarde

MODE Sie war neben Coco Chanel eine der ganz Großen in der Modewelt: Was Helen Hessel, Thomas Bleitner und Elsa Schiaparelli selbst über Elsa Schiaparelli zu sagen haben, ist jede der Lektüre gewidmete Minute wert

Schiaparelli war rücksichtslos, was Traditionen betraf

VON BRIGITTE WERNEBURG

Madame Schiaparelli, … hatte ursprünglich ihre hübschen Strickmodelle für sich allein erdacht. Bewundernde Freundinnen wußten sie zu überreden, auch für ihre Bekannten zu stricken. … So begann die rasche Karriere dieser Frau, die damals noch in einer kleinen Straße am linken Ufer der Seine wohnte.“ Ob Schiaparelli „Die Dame“ und ihren dort im September 1937 von Helen Hessel beschriebenen Werdegang kannte? Ihr Bonmot jedenfalls, Montmartre sei ihr so unbekannt, wie die Fertigkeit zu stricken, hätte auf die deutsche Autorin zielen können.

Helen Hessel, die Mutter von Stéphane Hessel, dessen Manifest „Empört euch“ zuletzt für weltweites Aufsehen sorgte, und die Frau des Proust-Übersetzers und Schriftstellers Franz Hessel („Spazieren in Berlin“, 1929) ist durch François Truffauts „Jules und Jim“ bekannt: als die Frau, die zwei Männer liebt. Als die Journalistin dagegen, die zwischen 1921 und 1938 die Deutschen über die Pariser Mode und den Pariser Lebensstil informiert, ist sie weitgehend unbekannt. Glücklicherweise kommt diese unbekannte Autorin in dem von der Literaturwissenschaftlerin Mila Ganeva herausgegebenen Band „Helen Hessel: Ich schreibe aus Paris. Über Mode, das Leben und die Liebe“ nun endlich zu Wort.

Und wie das geschieht, ist ein großes Vergnügen. Zunächst interessieren und überzeugen ihre klugen, gut beobachteten und oft brillant formulierten Modeberichte für die Frankfurter Zeitung oder die einstige Ullstein-Zeitschrift Die Dame, ihre Aphorismen und Features noch heute. Dann aber haben sich die Herausgeberin und der Nimbus Verlag einige Arbeit und die Artikel in den ursprünglichen Publikationen ausfindig gemacht. Im Layout der beigestellten Zeitschriften-Faksimiles, der Aufmachung der Texte, den zugehörigen Fotos und Zeichnungen meint man den Duft der Zeit noch genau zu riechen.

Dass Helen Hessel über die Mode ihre intellektuelle Selbstfindung gelang, liegt an der Gewissenhaftigkeit, mit der sie sich mit den Anforderungen des zeitgenössischen Leben und der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzte, was dann zu großen Texten führte. Die Freiberuflerin mit zwei Kindern in Paris, die den schwierigen Kampf des Gelderwerbs erfolgreich meisterte, schaute auch hinter die Kulissen auf die verborgenen sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der Modewelt.

„Krise auch in der Mode“ zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1931 erschienen, dachte etwa das Schrumpfen des Huts mit der Möglichkeit einer Kleidereleganz zusammen, die die Klassenunterschiede verwischt: „Quantität und Qualität lassen dem Snobismus Spielraum genug, aber im Formalen begegnet man sich und der Vorsprung an Aktualität vermindert sich immer mehr.“ Ihr moderner, überkommenen Vorstellungen gegenüber rücksichtsloser Blick ist freilich immer informiert, präzise und sensibel hinsichtlich dem Entwurf.

Auch Elsa Schiaparelli war rücksichtslos, was überkommene Vorstellungen und Traditionen betraf. Und auch sie konnte schreiben. Das zeigt ihre 1954 erschienene Autobiografie „Shocking Life“, die der Parthas Verlag nun erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Bekanntlich ließ sie sich von Salvador Dalí einen Hummer auf ein weißes Abendkleid malen, und der Flakon für ihr Parfum „Shocking“ schockierte wirklich mit einem weiblichen Torso der Künstlerin Leonor Fini. Schreibt sie aber über solche berühmten Entwürfe und Einfälle, liebt sie das Understatement und zielt mit ihrem anekdotischen Stil auf die Pointe. Immerhin erfährt man: Wenn auch nicht das Stricken, hat sie doch ein Pullover berühmt gemacht. Gefertigt von einer armenischen Bäuerin nach ihrer Idee, mit dem Motiv einer großen weißen Schleife, deren Enden den Halsausschnitt bilden.

Schiaparelli, die aus einer bekannten römischen Akademikerdynastie stammte, konnte natürlich auch nicht schneidern. Ein großer Vorteil, musste sie sich der Mode dadurch konzeptuell annähern, wozu sie die künstlerische Avantgarde ihrer Zeit auf ihre Seite zog: „Die Arbeit mit Künstlern“ verband sich, wie sie sagte, mit einem „Gefühl der Heiterkeit“. Diese Künstler, besser Künstlerinnen stellt Thomas Bleitner in seinem Bildband „Frauen der 1920er Jahre“ vor. Begleitet von einer fantastischen Auswahl von Fotos werden wir neben Elsa Schiaparelli unter anderem mit der Malerin Tamara de Lempicka, der Lifestyle-Ikone Luisa Casati oder der Tänzerin Lavinia Schulz bekannt. Wer auf kurzer Strecke bildreich mehr zur Geschichte der modernen Frau wissen möchte, wird hier bestens informiert.

Helen Hessel: „Ich schreibe aus Paris. Über die Mode, das Leben und die Liebe“. Hrsg. v. Mila Ganeva. Nimbus Verlag, Wädenswil 2014, 260 S., 32 Euro

Elsa Schiaparelli: „Shocking Life“. Parthas Verlag, Berlin 2014, 352 S., 19,80 Euro

Thomas Bleitner: „Frauen der 1920er Jahre. Glamour, Stil, Avantgarde“. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2014, 192 S., 38 Euro