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Archiv-Artikel

Geschafft

THÜRINGEN Im zweiten Wahlgang wird Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten eines Bundeslandes gewählt. Am Donnerstag wurde noch gegen Rot-Rot-Grün demonstriert

Die neuen MinisterInnen

■ Linke: Benjamin Hoff (38) – Staatskanzlei Heike Werner (45) – Arbeit und Soziales Birgit Keller (55) – Infrastruktur und Landwirtschaft Birgit Klaubert (60) – Bildung

■ SPD: Heike Taubert (55) – Finanzen Wolfgang Tiefensee (59) – Wirtschaft und Wissenschaft Holger Poppenhäger (57) – Innen

■ Grüne: Antja Siegesmund (37) – Umwelt und Energie Dieter Lauinger (52) – Justiz

AUS ERFURT STEFAN REINECKE

Um 10.52 Uhr ist Bodo Ramelow gewählt, im zweiten Wahlgang. Mit 46 Stimmen. Mike Mohring, der neue starke Mann der CDU-Opposition, drückt ihm einen Blumenstrauß in die Hand. Ramelow schreitet zum Rednerpult und sagt: „Ich möchte auch die ansprechen, die mich nicht gewählt haben.“ Er lobt Ex-CDU-Regierungschefin Christine Lieberknecht und bedankt sich, dass die Exregierung früher fair zur Opposition war. Es ist eine artige Ansprache, der Versuch, die Wogen zu glätten.

Ramelow hat diese Rolle lange geübt. Schon im Wahlkampf ist er oft präsidal, verbindlich, fast überparteilich aufgetreten. Er hat bei Unternehmern gutes Wetter für das Linksbündnis gemacht. Weil man Wahlen nicht gegen die Mitte gewinnen kann, weil man nicht gegen das Gros der Gesellschaft regieren kann. Der erste Linkspartei-Ministerpräsident zitiert Johannes Raus Motto „Versöhnen statt spalten“.

Ramelow bedankt sich bei Andreas Möller, den er einen Freund nennt. Möller saß in der DDR im Stasiknast, später war er Redakteur der Bild-Zeitung und enttarnte Stasi-IMs. Möller verkörpert eigentlich alles, was dogmatische Linkspartei-Genossen zu hassen lieben. „Ich bitte die Opfer des DDR-Unrechts um Entschuldigung“ sagt Ramelow. Bescheiden, verständig, selbstkritisch, so will er gesehen werden.

Am Donnerstagabend sehen das manche anders. Matthias Büchner (61) ist ein Herr mit weißem Bart, randloser Brille, Baskenmütze. Er steht vor der Ex-Stasizentrale in Erfurt, die die Bürgerbewegung vor genau 25 Jahren, am 4. Dezember 1989, friedlich stürmte. Er war, damals im Neuen Forum, dabei. Dass die Linkspartei regieren wird, empört ihn. Eine Stunde später wird Büchner, das authentische Gesicht der Anti-Linkspartei-Bewegung in Erfurt, vor dem Landtag Grüne und SPD warnen. Wer Ramelow wählt, unterwirft sich „freiwillig dem Dogma eines reaktionären Sozialismus “ sagt er vor johlenden Demonstranten. Sie ist wieder da, die SED.

Astrid Rothe-Beinlich steht mit der Kerze in der Hand vor der Ex-Stasizentrale und nickt Büchner knapp zu. 1989 war sie 16 Jahre alt und in einer kirchlichen Umweltgruppe aktiv. Rothe-Beinlich war 1989 sechs Wochen lang in der Stasizentrale. Um zu verhindern, dass noch mehr Akten verschwinden. Heute ist sie grüne Abgeordnete. „Es muss möglich sein, 2014 eine Koalition mit der Linkspartei einzugehen“, sagt sie. Und: „Ich kann verstehen, dass Ramelow für viele für die Täter von damals steht.“ Doch 1989 sei sie eben für die Freiheit auf die Straße gegangen. Auch für die Freiheit, nach einer Wahl mal eine neue Regierung zu bilden. Und Büchner, den sie seit 25 Jahren kennt? „Ach ja,“ sagt sie. „Wir kommen halt zu anderen Schlussfolgerungen“.

Die Gedenkfeier an die Besetzung der Stasizentrale hat nichts Eiferndes. Etwas 100 Leute sind gekommen, man friert gemeinsam im Kerzenschein. Rot-Rot-Grün hat einen Kampf um das Erbe der Revolte im Herbst 1989 entfacht. Von außen wirkt dieser Zwist unversöhnlich. Wenn man genauer hinhört, entdeckt man darin viel protestantisch gefärbtes Diskursives. Und Familiäres.

Katharina König (36) steht vor der Stasi-Gedenkstätte. Sie ist Landtagsabgeordnete der Linkspartei. Ihr Büro wurde kürzlich mit Farbe beschmiert: „Drachenbrut“ stand darauf. Ein Zitat von Biermanns Bundestagsauftritt. „Das waren keine Nazis, die schmeißen die Scheibe gleich ein“, sagt sie. König bekam Hassmails. Weil sie kritisiert hatte, dass zu der Anti-Rot-Rot-Grün-Demo am 9. November auch AfD und NPD mobilisierten.

Wie findet Sie, dass Bürgerrechtler wie Büchner solche Demos gegen Rot-Rot-Grün organisieren? „In Ordnung“ sagt sie. Und: „Er ist ja mein Patenonkel.“ Ach so. König versteht, die Angst ihres Patenonkels, der in der DDR viel erlitten hat, von der SED-Nachfolgepartei regiert zu werden.

Bei der Anti-Rot-Rot-Grün-Demonstration warnen die SPD-Mitglieder Stephan Hilsberg, Gunter Weißgerber, Stefan Sandmann heiser die SPD, sie warnen empört die Grünen, sie warnen vor „der Kanaille Ramelow“ (Weißgerber). Und vor der Machtübernahme von Rot-Rot-Grün in Berlin.

Es ist eine übersichtliche Demonstration, keine zweitausend sind gekommen Die Atmosphäre ist zivil: ohne Nazis, ohne Ramelow-raus-Chöre, wie am 9. November. Einige Demonstranten skandieren „Wir sind das Volk“. Nur ein paar Mal. Dann lassen sie es. Es klingt zu schütter. Und es stimmt ja nicht. Denn das Volk demonstriert am Donnerstagabend nicht gegen Ramelow. Das Volk steht, jedenfalls größere Mengen davon, auf dem Weihnachtsmarkt zu Füßen des Erfurter Doms. Es flaniert durch die proper sanierten Gässchen Erfurts, einer Stadt, die gemütlichen Bürgerstolz ausstrahlt. Das Volk trinkt Glühwein und ist sich sicher, dass sich das Leben, egal wer regiert, nicht ändern wird.

Freitagvormittag steht Matthias Büchner, nun mit Krawatte, im Foyer des Landtages. Gestern hat er Ramelow beim Friedensgebet getroffen, vor der Demonstration. Der Linkspartei-Mann hat versprochen, eine Kerze für ihn anzuzünden. „Gerne“, hat Büchner gesagt. „Aber nur, wenn auf dem Altar nicht Marx und Lenin stehen.“

Ramelows Antrittsrede fand er „glaubwürdig“, zweifelt aber, dass er sich in seiner Partei durchsetzen könne. „Ich wünsche Bodo Ramelow gute Gesundheit und präsidialen Weitblick“, sagt der Organisator der Anti-Rot-Rot-Grün-Demonstration milde. Versöhnen statt spalten. Richtige Feindschaften sind schwierig, wenn man sich dauernd über den Weg läuft. In Erfurt kennt man sich. Die politische Kultur im Osten, entstanden in der Post-Wende-Zeit, ist sowieso konsensorientiert.

Und es ist ja nun demokratisch entschieden. Die Stimmung entkrampft sich. Astrid Rothe-Beinlich lächelt nach der Wahl im Landtag. Alles gut, sagt sie. Das Fiebrige verschwindet, die Temperatur sinkt wieder aufs Normalmaß. Mario Voigt, der CDU-Generalsekretär, eilt durch die Flure und kritisiert Ramelows Rede als „dünn“, ohne Programm. Regierung gegen Opposition, das übliche Spiel.

Im Landtag werden nun die Fachausschüsse gebildet. Gemeinsam beantragt von CDU, Grünen, SPD, Linkspartei. Alles normal. Fast. Die AfD will den Gleichstellungssausschuss abschaffen, denn damit würden Männer diskriminiert. AfD-Fraktionschef Björn Höcke ruft vom Rednerpult aus Richtung grüne Fraktion: „Halten Sie die Klappe!“ Und: „Suchen Sie sich einen Therapeuten.“ Der CDU-Fraktion empfiehlt Höcke: „Emanzipieren Sie sich von der Linkspartei.“ Die AfD ist grimmig entschlossen, den Rüpel zu spielen, mit schlechtem Benimm und rüden Sprüchen. Spalten statt versöhnen.

Die CDU wirkt nach Ramelows Wahl ratlos. Sie verliert nicht nur nach einem Vierteljahrhundert die Macht, sie weiß auch nicht so recht, wohin. Im Hintergrund tobt ein Flügelkampf: Hier der schneidige Konservative Mohring, dort das Ex-Lieberknecht-Lager. Und die schwelende Frage: Wie hält es die CDU mit der AfD? Abgrenzen oder Umarmen?

Susanne Hennig-Wellsow, die wohl neue Chefin der Linksfraktion wird, sagt: Wenn die CDU mit der AfD gemeinsame Sache macht, „dann ist es gut für uns“. Denn das schweißt das zerbrechliche rot-rot-grüne Lager zusammen. Aber gesellschaftlich, so die Linke, wäre „es brandgefährlich“.

Am Freitagnachmittag bauen die ausländischen TV-Teams ihre Kameras ab. Die Weltpresse geht, der Weihnachtsmarkt bleibt. Am Montag wird die neue Regierung ihren ersten Beschluss verkünden: Abschiebestopp für Flüchtlinge. Wenn das normale Regierungsgeschäft beginnt, werden die Gespenster der Geschichte besänftigt.