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Archiv-Artikel

Die dümmste Band Berlins

Wenn es stimmt, was Mieze sagt, dass nämlich MIA. hier zu Hause ist, dann wandern wir alle aus: Der besser Platz (Würstchenstand!) beim Festival Popdeurope am Samstag war eindeutig der Platz vor und nicht in der Arena

Die Band geht dazu erwartungsgemäß „total ab“, was die Musiker durch synchrones Headbangen unterstreichen

Das Festival Popdeurope hat sich vorgenommen, unter dem Motto „Mind the Media Gap“ urbane Sounds in die Treptower Arena zu bringen. Das heißt, der Schwerpunkt liegt auf Künstlern, die in der Musik zum Ausdruck bringen, was im Tagesgeschäft der Medien selten zur Sprache kommt: Der Alltag junger Migrantinnen in den europäischen Metropolen. So gab es am Eröffnungsabend Hiphop aus Kuba und Rap aus Frankreich, allein dieser Sonntag war mit MIA. als Headliner ein schlechter Abend für ein solches Vorhaben.

Denn die Gruppe MIA. steht ja eher für einen neuen Nationalismus, und alles, was aus Bandkreisen zur leidigen Patriotismusdebatte beigetragen wurde, lässt sich nur mit sehr viel Wohlwollen als politische Naivität entschuldigen. Die Chanteuse Rose aus Frankreich und der belgische Sänger Sioen sind als Supportbands mit MIA. unterwegs und wurden wohl deshalb praktischerweise gleich mitgebucht.

Zunächst aber drängelten sich vor der Arena lange Schlangen am Wurststand, während drinnen das deutsch-brasilianische Freundschaftsprojekt Kook feat. Roxxy Bione die leere Halle beschallte und das draußen aufgebaute Fritz-Soundsystem für akustische Konkurrenz sorgte. Nach dem Auftritt von Rose gehen die Blödelmoderatoren von Fritz ans Werk: „Da kann man mal sehen, was man alles so aus einer Gitarre rausholen und mit einer Stimme so machen kann!“ Entschuldigend bieten sie den wartenden MIA.-Fans die nächste Vorband wie Sauerbier an: „Das ist halt immer so, dass vor den großen Bands noch so ein paar weniger bekannte kommen, das ist wie ein Geschenk an euch“. „Aber wer will hier noch zur summer party?“ „Wer ist hier, um MIA. zu sehen?“ So endet die Kinderbelustigung in verhaltenem Jubel und Vorfreude auf MIA.

Doch zuerst kommt noch Sioen auf die Bühne, ein Sänger, für den, laut Veranstalterinfo, in Belgien eigens eine Satellitenfrequenz freigeschaltet wurde, was immer das heißen mag. Unglücklicherweise ist Sioen selbst ein leider recht uncharismatischer Sängerknilch, seine Band spielt Pompös-Pop mit knarzender Geige, die Texte sind von ausgesuchter Schlichtheit und bewegen sich im Spannungsfeld zwischen „Come back to me“ und „See you naked“.

Dann wird die Bühne mit silbrigen Lamettavorhängen und dem dreieckige MIA.-Logo präpariert. MIA. ist ja nicht nur eine Band, MIA. ist eine Firma, ein Künstlerkollektiv, ist das Plattenlabel ROT. Bei MIA. wird nicht nur eine neue Platte gemacht, da wird ein Image-Plan erstellt, da arbeitet man von vornherein an den Visuals, am Design, am großen Ganzen. So erschien 2006 auch nicht eine neue CD sondern das Konzeptalbum „Zirkus“.

Wenn man sich auf der Suche nach neuen Ideen mit der Plattenfirma und der Schneiderin zum Brainstorming zusammensetzt, können eben schon mal so altbackene Verrücktheiten wie „Zirkus“ herauskommen, eine Institution die wohl zuletzt ungefähr zur Kaiserzeit noch Glam und antibürgerliche Lebensentwürfe versprach.

„Wir sind MIA. und wir sind hier zu Hause!“ , schreit Mieze anmaßend ins Mikrofon. „Wenn das stimmt, wandere ich aus!“, denkt da die hilflose Zuschauerin.

Sängerinnen müssen sich ja, streng nach Madonnas Vorbild, mit jeder Platte neu erfinden, sprich die Frisur oder den Style an sich wechseln. Auch Mieze hat den schwarz-weiß gefärbten Pony abgelegt und lässt mutig die dunklen Haare am Ansatz herauswachsen! Sie erfindet sich sogar für jeden Song neu, zieht Handschuhe über, setzt Glitzermasken auf, bindet sich Engelsflügel um und schwingt sich sogar am Trapez empor (Achtung! Zirkus!). Die Songs des letzten Albums, aber auch ältere Hits wie „Hungriges Herz“ werden performt, dazu bewegt sich Miezes Choreografie zwischen gehetztem NDW-Gezicke, notorischem Frisurschütteln und strammem Marschieren. Jugendliche Frechheit und Anmaßung soll die Körpersprache der Glamgöre aus Pankow dabei unentwegt vermitteln.

Die Band geht dazu erwartungsgemäß „ total ab“, oder „rockt wie Sau“, wie es im Fachjargon heißt, was die Musiker durch synchrones Headbangen unterstreichen. Zwischendurch schreit Mieze mit greller Stimme schlimme Drohungen – wir sind alle eine Zirkusfamilie usw. – durch die Arena.

Fazit : MIA. haben nicht nur in den letzten Jahren alles falsch gemacht, sondern können auch nach diesem jüngsten Auftritt weiterhin völlig zu Recht den Titel als dümmste und nervigste Band Berlins für sich reklamieren. CHRISTIANE RÖSINGER