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Archiv-Artikel

Ein sanfter Verführer

Das geistige und weltliche Oberhaupt der Tibeter erläutert in Hamburg den Weg zum gewaltlosen Glück. Den Besuchern gefällt er „als Persönlichkeit“ – und dass er keine starren Regeln predigt

AUS HAMBURG GERNOT KNÖDLER

Der Dalai Lama ist der Popstar unter den Lehrmeistern des Buddhismus. Keiner lockt zu seinen Veranstaltungen mehr Menschen an als der Tibeter. Jeweils knapp 11.000 Menschen haben am Sonnabend und Sonntag in Hamburg seinen Vorträgen und Gesprächen über den Weg zur Gewaltlosigkeit gelauscht. Sie kamen aus fast allen Ländern Europas, aus Amerika, Ostasien und Südafrika – buddhistische Mönche und Nonnen in rot-oranger Ordenstracht ebenso wie viele Christen, die sich vom Charisma und der sanften Lehre des Dalai Lama angezogen fühlen.

„Frieden lernen“ ist das Programm für das Wochenende im Tennisstadion am Rothenbaum überschrieben. „Sobald wir Mitgefühl für andere entwickeln – Warmherzigkeit –, entsteht Gewaltlosigkeit automatisch“, behauptet der Dalai Lama. Er sitzt im Schneidersitz auf einem schwarzen Ledersessel. Sein bunt geschmückter, 350 Kilogramm schwerer Thron im Hintergrund bleibt unbenutzt. Über den Köpfen des Publikums wehen wie an Wäscheleinen Ordensfahnen.

„Um die Wirklichkeit zu erkennen, sollte der Geist völlig vorurteilsfrei sein“, sagt der Dalai Lama. 90 Prozent dessen, was uns negativ erscheine, sei eine Folge geistiger Projektionen, habe ihm einmal ein schwedischer Psychologe bestätigt. Dieser ruhige Geist könne aber nicht herbeigebetet werden. Vielmehr gelte es, den Kern von Mitgefühl und Liebe für andere zu entwickeln, den jeder Mensch von seiner Mutter mitbekommen habe.

Zur Illustration erzählt er die Geschichte eines befreundeten Mönchs, der 18 Jahre lang in einem chinesischen Gulag geschmachtet habe. Der habe ihm erzählt, er sei manchmal in Gefahr gewesen. Er habe an Lebensgefahr gedacht, sagt der Dalai Lama, dabei habe sich der Mönch nur gesorgt, er könnte das Mitgefühl für seine chinesischen Peiniger verlieren.

Der Dalai Lama ist ein bescheidener Mann. Er predige zwar Vergebung und Mitgefühl, müsse aber zugeben, dass er selbst noch nicht auf die Probe gestellt worden sei. Es sind solche Sätze zusammen mit seinem Witz, der den ernsten Lehren das Schwere nimmt, die den Dalai Lama auch bei den nicht-buddhistischen Zuhörern gut ankommen lassen. Er sei „menschlicher, näher am Volk“, sagt eine junge Besucherin. Er sei „ein greifbares Glaubensoberhaupt“, „locker“, „einfach ein Mensch“, findet Christian Arps, nicht praktizierender Katholik aus Würzburg. Dass das Charisma, die Persönlichkeit des Dalai Lama sie hergelockt habe, sagen viele Besucher.

Auf dem richtigen Weg

Viele würden auch Papst Benedikt das Charisma nicht absprechen, zum Dalai Lama fühlen sie sich aber eher hingezogen: „Weil er authentisch ist, weil er lebt, wovon er redet“, sagt Cornelia Strobel aus Stuttgart, die mit dem Buddhismus „sympathisiert“ und den Dalai Lama schon zum dritten Mal aufsucht. Aber er hat doch selbst gesagt, er sei noch nicht geprüft worden? Das sei nicht ganz richtig, antwortet sie. „Wenn ich mir überlege, was in seinem Land passiert …“

Der Dalai Lama vermeidet es, sich im Einzelnen festzulegen. Als er bei der Eröffnungspressekonferenz gefragt wird, wie er zum therapeutischen Klonen stehe, sagt er, es komme auf die Motive an. Wann das Leben beginne? Im Grunde ab der Empfängnis. Es gebe jedoch verschiedene Niveaus des Lebens.

Mit der Geburt setzten verstärkt die Gefühle ein, intelligentes Handeln beginne mit vier oder fünf Jahren, und wieder eine neue Stufe werde mit dem Berufsleben und der Heirat erreicht. Das sei dann das „echte Leben“, sagt er und lacht.

Die Lehren des Buddhismus empfinde er „mehr als Anleitung denn als Vorschrift“, sagt der Würzburger Katholik Arps. Ein Besuch beim Papst hätte ihn weniger gereizt, weil er „gewisse Probleme“ mit der Institution Kirche habe: Er kann es schwer verknusen, „dass mir jemand erzählt, was ich zu glauben habe“.

Ähnlich äußert sich Birgit Deimann, eine Katholikin aus Wuppertal. Letztlich sei doch die Basis der großen Religionen die gleiche. Trotzdem fühle sie sich im Buddhismus freier. „Vielleicht ist es gerade, dass niemand auf der Kanzel steht und klare Regeln predigt“, sinniert sie. Deimann ist im Christentum aufgewachsen und will diesem keineswegs den Rücken kehren.

„Gerade in letzter Zeit bin ich öfter in der Kirche gewesen, weil meine Mutter gestorben ist“, erzählt sie. Dort wirke zwar ein guter Priester. Bei der Trauerarbeit habe ihr aber vor allem die buddhistische Lehre von der Vergänglichkeit geholfen: „Ich habe viele buddhistische Bücher gelesen, und das hat mir Kraft gegeben“, sagt sie. „Ich denke, dass dieser Weg der richtige sein wird.“