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Archiv-Artikel

Kegelbrüder pfeifen gegen Neonazis

In Tübingen stellen sich 10.000 Menschen 220 angereisten Jung-NPDlern in den Weg. Auch Musikvereine, Kegelclubs und Burschenschaftler protestieren gegen rechts. Die Neonazis marschierten ein paar Schritte – und stiegen wieder in den Zug

1.000 GEGEN 37

Auch in Leipzig wollten viele Menschen nicht hinnehmen, dass Neonazis durch die Straßen marschieren: Rund 1.000 protestierten mit Demos und Aktionen gegen einen rechten Aufzug. Statt der angemeldeten 300 hatten sich nur 37 Rechtsextreme versammelt. „Das traurige Häuflein musste erkennen, dass Rechtsradikale auch künftig am friedlichen Protest der Bürger der Stadt scheitern werden“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung, der gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) an einem Frühstück unter dem Motto „Brötchen statt Dumpfbacken“ teilnahm. Ein von der Stadtverwaltung geplantes Verbot des rechten Aufzuges war gescheitert. EPD FOTO: REUTERS

AUS TÜBINGEN PHILIPP MAUSSHARDT

Einen geeigneteren Ort, ihre Unbeliebtheit zu demonstrieren, hätten sich die Jungen Nationaldemokraten nicht aussuchen können: Ausgerechnet im rot-grünen Tübingen wollte die Jugendorganisation der NPD am Samstag über die Straße marschieren. Doch schon am Bahnhof war Schluss, und die nationalistischen Parolen verhallten in einem Pfeifkonzert.

Rund 10.000 Tübinger erwarteten die 220 angereisten Neonazis mit bunten Fahnen, Trommeln und „Nazis raus“-Rufen. Der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer hatte zu einem Volksfest gegen Rassismus und Intoleranz aufgerufen und alle Parteien, die CDU inbegriffen, bis zu Mitgliedern von Kegel-, Sport- und Musikvereinen der Stadt hatten sich am Protest beteiligt. Selbst die in Tübingen traditionell starken Burschenschaften waren unter den Gegendemonstranten.

Nur durch massive Polizeipräsenz konnten die teilweise aus Thüringen und Bayern angereisten Neonazis ihr vom Verwaltungsgericht Sigmaringen zugestandenes Demonstrationsrecht wahrnehmen und schließlich wenige Meter vor dem Bahnhof auf und ab spazieren. Dann wurden sie unter dem Jubel der Tübinger von der Polizei wieder in den Regionalexpress gesetzt und nach Hause eskortiert.

Die Stadt war zuvor mit dem Versuch, die Demo zu verbieten, an einer Eilverfügung des Verwaltungsgerichts gescheitert, die der JN unter strengen Auflagen eine Kundgebung in Tübingen erlaubte. So hatten die Rechtsradikalen alle Hakenkreuze auf T-Shirts und den sichtbaren Tätowierungen an Armen und Beinen mit Klebeband abgeklebt. Bei ihrer Ankunft wurden sie einzeln nach Waffen und unerlaubten Gegenständen durchsucht. Mehr als 1.400 Polizeibeamte waren dazu aus Baden-Württemberg und Bayern zusammengezogen worden. Gegendemonstranten hatten kurzfristig die Gleise am Tübinger Bahnhof besetzt, waren aber unter dem Eindruck des Polizeiaufgebots wieder abgezogen. Zu Gewalttätigkeiten kam es nicht.

Schon vor dem Eintreffen der Jungen Nationaldemokraten glich die Stadt einem einzigen Volksfest: Auf dem Marktplatz spielte Blasmusik. An über 80 Plätzen in der Stadt waren Infostände aufgebaut oder tanzten ausländische Folkloregruppen und bemalten Kinder das Straßenpflaster. Oberbürgermeister Boris Palmer sprach von „politischem Klimaschutz“ und bedauerte, dass die NPD noch immer nicht verboten ist. Palmers Angebot an die rechtsradikalen Jugendlichen, sich persönlich mit ihnen zu unterhalten, wenn sie auf die Demonstration verzichteten, lehnten die Organisatoren ab.

Der Vorsitzende der baden-württembergischen NPD-Jugendorganisation, Lars Gold, kündigte vielmehr an, schon in wenigen Wochen wiederkommen zu wollen. Auch die Tübinger denken an eine Wiederholung: Das „Bürgerfest für Toleranz und Freiheit“ soll 2008 erneut stattfinden.