: „Fast der vierte Tote“
KIEZ Heute wird die Davidwache 100 Jahre alt. Der Ex-Zivilfahnder Waldemar Paulsen blickt zurück
■ 67, gehörte von 1972 bis 1982 zur Stammbelegschaft der Davidwache und hat darüber das Buch geschrieben.
taz: Herr Paulsen, was war die dollste Geschichte, die Sie auf der Davidwache erlebt haben?
Waldemar Paulsen: Das prägendste Erlebnis war am Hamburger Berg 1980, als ein Berufsverbrecher mich in einer üblen Spelunke während einer Überprüfung erschießen wollte. Nur das beherzte Eingreifen meines Partners verhinderte das.
Das hört sich nach einem gefährlichen Arbeitsplatz an …
Ich wäre in dem Moment fast der vierte Tote gewesen, der auf der Davidwache Dienst verrichtete. Zu Kriegszeiten wurde ein Kollege erschossen im Milieu. Der zweite Tote war 1970 mein Kollege Uwe Kraak, der in der Davidwache von einem fliegenden Händler erschossen wurde. Und 1974 wurde mein Kollege Peter Koch im King George in der Friedrichstraße, einem Epizentrum der Zuhälter, bei einer Schlägerei erschlagen.
Dann stimmt es also nicht, dass der Kiez härter geworden wäre?
Das ist ein anderer Kiez. In den 70er-, 80er-Jahren haben allein im Eros-Center 350 Prostituierte gearbeitet. Das sind so viele wie heute auf ganz St. Pauli inklusive Herbertstraße. Heute ist es eine Erlebnismeile für die Touristen mit Ballermann-Charakter.
Ist der Nepp daran schuld, dass das Sex-Geschäft auf der Reeperbahn schwächelt?
Der Nepp hat St. Pauli immer geschadet. Zu unserer Zeit war er exzessiv. Erst als Ludwig Rielandt, der damalige Revierführer 1973 antrat, haben wir „dazwischengeschlagen“. Man muss bedenken, das St. Pauli ein Wirtschaftsfaktor gewesen ist.
Muss sich ein Polizist der Davidwache anders verhalten als Polizisten anderer Wachen?
Grundsätzlich nicht. Er muss ein starkes Nervenkostüm haben. Wir hatten immer wieder Kollegen, die dort fehl am Platze waren. Denen stieg schon die Schamesröte ins Gesicht, wenn man sagte: „Zieh’ mal den Tisch aus.“
Was ist aus der MP geworden, die während der Hafenstraßenbesetzung aus einem Peterwagen geklaut wurde?
Das weiß ich nicht. Seinerzeit bin ich aus St. Pauli aus drei Gründen weggegangen: Einmal hatte ich eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Der zweite Grund war das Hafenstraßen-Problem: Wenn Personen aus diesen Häusern Autos aufbrachen und erwischt wurden, war die Weisung, dass man vor der Türschwelle Halt macht. Der dritte Grund war, dass der von mir hoch geachtete Revierführer Rielandt drei Jahre später pensioniert werden sollte. INTERVIEW: KNÖ