: Swampy, das Militärkrokodil
Das Aquarium ist einer der großen Publikumsmagnete der Stadt. Eine kurzweilige Geschichte des Hauses erzählt nun von treppensteigenden Waranen, Bombenschäden, alliierten Krokodilen und nicht zuletzt vom guten alten Westberlin
VON CHRISTIANE RÖSINGER
Jetzt, wo aus dem gefeierten Kinderstar Knut bald endgültig ein Problembär wird, ist es an der Zeit, den tierliebenden Blick von den erfolgsverwöhnten Säugetieren abzuwenden und den bescheidenen Meeres- und Sumpfbewohnern mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Nun kann der durchschnittliche Tierfreund vielleicht zu Fischen und Fröschen nicht ein ganz so emotionales Verhältnis aufbauen wie zu einem Eisbärbaby – ein Krokodil hat kein Kindchenschema-Gesicht, und eine Qualle kann nur schwer Gefühle zeigen. Aber auch die glitschigen, stummen, unbehaarten Tiere sind unsere Mitgeschöpfe und verdienen zumindest gelegentliches Interesse. Glücklicherweise ist vor kurzem in der Berlin Edition des Bebra Verlags das kleine Buch „Aquarium Berlin. Die schönsten Geschichten“ erschienen, nachdem schon „Tierpark Berlin“ und „Berliner Zoo“ mit ihren jeweils schönsten Geschichten verlegt wurden. Das Berliner Zoo-Aquarium wird jedes Jahr immerhin von über einer Million Leute besucht und ist eine der großen Attraktionen der Hauptstadt. In dem neuen Buch werden dramatische Zwischenfälle, skurrile Anekdoten und heitere Geschehnisse aus dem Zoo-Aquarium erzählt.
Der Autor, Goetz Kronburger , Redakteur beim SFB, begleitete das Aquarium über Jahrzehnte, man kannte ihn durch die Sendung „Freundschaft mit Tieren“ und von der Übertragung des alljährlichen Pfingstkonzerts aus dem Zoo. „Wasser ist wichtig“, verrät er dem Leser auf den ersten Seiten. „Wir alle leben vom Wasser! Der Körper braucht Wasser. Omnia vita ex mare – alles Leben kommt aus dem Meer.“ Dann wird die technische Entwicklung des Tauchens seit Leonardo da Vincis Tauchglocke erzählt. Und schließlich folgt die Geschichte des Berliner Aquariums, dessen Stammhaus seit 1869 Unter den Linden stand, als noch Nordseewasser in zwei großen Elbkähnen nach Berlin geschleppt wurde. Am heutigen Standort wurde das Zoo-Aquarium 1913 eingeweiht. Die Zeit aber schreitet voran, und unauflöslich ist das Berliner Aquarium mit der Weltgeschichte verbunden. 1914 etwa bleibt das Attentat auf das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar in Sarajevo für das Berliner Aquarium nicht ohne Folgen. „Die menschenleere Straße vor dem Aquarium spiegelte die gespannte Atmosphäre des Jahres 1914 wider“, heißt es in einer Bildunterschrift.
Die nächsten unschönen Jahrzehnte deutscher Geschichte werden dann sorgfältig ausgespart, in den Dreißigern hat sich nur eine „fast unerklärliche Form der Kameradschaft“ zwischen dem populären Moritz und seinem Pfleger entwickelt. Sie spazierten in den Abendstunden gemeinsam ums Haus und treppauf, treppab. Bei Moritz handelt es sich um einen agilen Komodowaran. Vom spazierenden Komodowaran geht es dann gleich weiter zum „Untergang“. „In Richtung Wittenbergplatz wurde der Feuerschein immer heller, nun hob sich deutlich der Bau des Aquariums dagegen ab. In ahnungsvollem Entsetzen erkannte ich, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste. Die schweren Eingangstüren des Aquariums waren aufgesprengt. Auf der Treppe schon rauschte mir Wasser entgegen“, so berichtet ein Augenzeuge von der Bombennacht im November 1943.
Nur ein Krokodil, der alte „Schwarze Peter“, hat den Angriff überlebt, Moritz, der Flaneur, wurde als Bombenflüchtling vom Leipziger Zoo aufgenommen. Aber auf jeden „Untergang“ folgt ja bekanntlich ein „Neubeginn“, und so geht auch die Aquariumsgeschichte munter weiter. Dabei ist die Erzählhaltung für sich schon eine genauere Betrachtung wert. Denn sie konserviert das irgendwie miefige, aber auch idyllische Westberlin, wie es sich insbesondere in der Berliner Abendschau zeigte. Interessant ist aber auch, wie wenig zimperlich man in den Fünfzigerjahren noch mit den Tieren umging. Da wird voller Begeisterung erzählt, wie Swampy, ein Militärkrokodil der Alliierten, den Klimawechsel von Florida nach Berlin nicht recht verkraftet hat, im Aquarium abgegeben und nur noch zu gelegentlichen Paraden abgeholt wurde. Eine Aktion, bei der bestimmt keiner behaupten konnte: „No animal was harmed during this parade.“
Zu guter Letzt erfährt man noch von hochoffiziellen diplomatischen Gastgeschenken, von Helmut Kohl und seinen Komodowaranen und von gefährlichen Tiertransporten auf der Transitstrecke. Das alles ist sehr kurzweilig zu lesen und informativ, aber nur fast genauso rührend wie die Geschichte von Knut und seinem Pfleger Dörflein.
Goetz Kronburger: „Aquarium Berlin. Die schönsten Geschichten“. Berlin Edition, 125 Seiten, 9,80 Euro