: Die Kunst der ökonomischen Antwort
VIDEOBRÜCKE Die Goethe-Institute in Berlin, Moskau und Zagreb und ihre Gäste diskutierten am Dienstagabend über die Rolle von Kultur, Sprache und Medien im europäischen Nationenwerdungsprozess. Aus Zagreb
VON DORIS AKRAP
Die letzten Tage der Erinnerung an Ausbruch und Folgen des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren sind fast geschafft. Zum Abschluss dieses Jahres, das aus deutscher Perspektive zum einen im Schützengraben und zum anderen an der Berliner Mauer stattfand, hatten die Goethe-Institute in Berlin, Moskau und Zagreb am Dienstagabend noch einmal eine „Videobrücke“ organisiert, um über die Rolle von Kultur, Sprache und Medien im europäischen Nationenwerdungsprozess zu diskutieren. Jeweils ein Historiker des Landes und ein Moderator sprachen zunächst vor Ort mit dem Publikum und anschließend mittels einer Videoschaltung miteinander. Auf der Bühne im Zagreber Goethe-Institut saß neben dem Moderator der kroatische Historiker Ivo Banac, Professor in Yale und Zagreb und Autor des Standardwerks „Die nationale Frage in Jugoslawien“. Hinter ihnen hatte man eine Leinwand gespannt, auf der links das Podium in Moskau und rechts das Podium im Zeughauskino in Berlin zu sehen war.
Ein bisschen wirkte die Anordnung wie ein Versuch, die digitalen Zonenrandgebiete Europas miteinander zu verkabeln. Jedenfalls von Zagreb aus glich die Inszenierung eher einer Live-Schaltung in Zeiten des Kalten Krieges: Sobald einer der Diskutanten in Berlin oder Moskau ein bisschen zu sehr seinen Kopf bewegte, war nur mehr Pixelsalat zu sehen. In Zagreb immerhin konnte man dann der Grafikerin Helena Janecic bei der Arbeit zugucken. Parallel zur Diskussion fertigte sie ein grafisches Protokoll im Stil eines Gerichtsporträts an.
Obwohl alle Diskutanten auf Englisch sprachen, war das Verstehen trotzdem nicht ganz so einfach. Auf die verschiedenen Akzente musste man sich immer wieder einstellen. So muss man das auch in Kroatien. Ivo Banac erläuterte, dass der Nationenbildungsprozess dort immer noch andauert. Durch die verschiedenen Staatlichkeiten, vom Kaiserreich über die sozialistische Föderation bis zur heutigen parlamentarischen Demokratie, seien immer wieder kulturelle und sprachliche Traditionen aufgegeben, neu erfunden oder homogenisiert worden, sodass in dem kleinen Land immer noch sehr unterschiedliche regionale Identitäten wirksam seien, die durch drei große dialektale Unterschiede verstärkt würden. Als gefährlich stufte Banac das nicht ein. Gefährlich sei es, wenn alle kulturellen Unterschiede nivelliert würden. Auch auf europäischer Ebene.
Ähnlich und doch ganz anders bewertete der russische Historiker Gassan Gusejnov die Situation der russischen Nation. Die Welt der Verschwörungstheorie, in der sich Putin und die russische Politik bewegten, sei eine Manifestation der identitären Probleme der Russen. Jeder, der Russisch spreche, werde in dieser Welt als Russe gesehen. Die Leute, die das glaubten, seien jene, die politische Entscheidungen träfen, und jene, die Fernsehen guckten, das nur aussehe wie Fernsehen und in Wirklichkeit die Propagandaabteilung der Regierung sei. Auch das russische Parlament sehe nur aus wie ein Parlament, sei aber in Wirklichkeit gar nicht da. Man müsse sich im Übrigen darauf einstellen, dass Putin nicht nur neue Landkarten, sondern auch neue politische Landschaften erschaffen werde.
Zumindest in Zagreb zeigte sich das Publikum sehr erstaunt über die Offenheit, mit der Gusejnov Putin kritisierte. In Berlin war man offenbar weniger beeindruckt. Der Moderator Johannes Grotzky hatte dafür aber auch nicht wirklich Zeit. Der neben ihm im Zeughauskino sitzende österreichische Historiker Hannes Grandits musste ja auch noch ins Gespräch geholt werden. Während in Zagreb und Moskau sehr explizit gesagt wurde, dass Europas demokratische Zukunft davon abhänge, wie mit den Regimen Putins oder Viktor Orbáns umgegangen werde, hielt sich der Österreicher mit Ratschlägen zurück und stellte lediglich fest, dass es völlig unklar sei, ob die europäische Nachbarschaft eine kooperative oder eine polarisierende sein würde.
Ivo Banac nannte seine kurzen und präzisen Anmerkungen auf dem Podium „ökonomisch antworten“. Das hatte er schön gesagt. Würden im europäischen Gespräch alle ein bisschen ökonomischer antworten, ließen sich vielleicht intensivere Diskussionen über politisch Brisanteres als Maut- und Gurkenregelungen führen.