: Im lateinamerikanischen Tiefdruckgebiet
BEZIEHUNGSKRISEN In dem argentinischen Spielfilm „Im Regen des Südens – Lluvia“ begegnen sich zwei Menschen um die 40, die nicht wissen, wohin mit ihrer Einsamkeit und Verunsicherung
VON GASTON KIRSCHE
Es regnet. Stark, fast ununterbrochen den Film hindurch, drei Tage lang. Alma (Valeria Bertuccelli) steht in ihrem alten Renault im Stau. Sie steigt aus, sucht schnell etwas in einem Laden an an der Straße zusammen. Mineralwasser, eine Reisezahnbürste, ein Snack, ein Schwangerschaftstest. Sie nimmt ihre Thermoskanne unter dem Arm hervor und füllt sie am Automaten für heißes Wasser. Für den Matetee. In einem Waschraum putzt sie sich schnell die Zähne, wäscht sich unter den Armen. Sie ist im öffentlichen Raum, aber allein. Später im Film wird sie zu Roberto (Ernesto Alterio) sagen, dass er seit Tagen der erste Mensch ist, mit dem sie länger als ein paar Minuten spricht. Noch kennt sie ihn nicht. Irgendwo hinter dem Stau findet eine Demonstration statt.
Es knallt – Schüsse oder Donner? Menschen rennen zwischen den Autoreihen im Stau entlang. Die Beifahrertür wird geöffnet, Roberto lässt sich auf den Sitz fallen. Alma erschrickt. Roberto erklärt, ihr nichts zu tun, bittet sie, im Auto sitzenbleiben zu dürfen. Für einen Moment. Sie rauchen. Seine Fortuna sind durchnässt, sie gibt ihm eine von ihren Zigaretten. Wie in einer kleinen Kapsel sitzen sie da, draußen der Regen und das normale Chaos der Großstadt. Gedreht ist der Film in Buenos Aires, aber es könnte irgendeine Großstadt sein. Der Film spielt an großen Straßen und Wohnquartieren, an alltäglichen Orten jenseits markanter Sehenswürdigkeiten. Alma steigt aus, geht herum, steigt wieder ein. Beide sind verschlossen, einsam in den Kokons ihrer Verunsicherung und Sorgen. Sie fangen an, miteinander zu reden. Befangen bricht ihr Gespräch öfter ab. Sie verabschieden sich. Roberto bringt Alma, die immer noch im Stau steht, später Essen aus einem Restaurant vorbei. Das Auto ist leer, er stellt es auf den Beifahrersitz. Sie kommt hinzu, brüllt ihn an, was er sich anmaßt, woher er wisse, dass sie etwas Essen müsse.
Vor den Kopf gestoßen geht Roberto, sie ihm nach einem Moment hinterher. War nicht so gemeint. Sie setzt ihn bei dem Hotel ab, in dem er wohnt. Während bei Alma an der sprachlichen Einfärbung das argentinische Spanisch leicht erkennbar ist, hört sie bei Roberto den Spanier heraus. Langsam kommen sie aus ihrer gegenseitigen, verschlossenen Verschwiegenheit heraus. Es ist gut, jemanden zum Reden zu haben. Alma geht ins Hotel, vor dem sie Roberto abgesetzt hat und findet ihn. Sie gehen zusammen Essen, er erzählt von seiner Frau Laura und seiner sechsjährigen Tochter Nina in Madrid.
Dass er nach Buenos Aires gekommen ist, um seinen sterbenden Vater zu sehen, offenbart er Nina erst viel später im Film. 30 Jahre hat er seinen Vater nicht gesehen. Sechs Jahre alt war er, als er und seine Mutter von ihm verlassen wurden. Nun steht er da, in der Wohnung, die er nach dem Tod seines Vaters auflösen muss und findet nicht, was er sucht: Nähe, Zuwendung. Verloren steht er inmitten der Dinge seines Vaters.
In einem heftigen Streit gehen Alma und Roberto auseinander. Sie weiß nicht, dass er mit dem Verlust seines Vaters beschäftigt ist. Als er ihr vorhält, dass es wichtig sei, sich nicht seiner Verantwortung zu entziehen, dass es nicht ginge, ein Kind zu verlassen, versteht sie seine Vehemenz nicht. Sie fühlt sich bedrängt und verletzt. Den Schwangerschaftstest hat sie noch nicht gemacht. Aber sie lebt seit Tagen im Auto. Oft ruft ein Andrés an, sie geht nicht ran. Einmal geht sie in die Wohnung, wo sie bis vor kurzem mit Andrés gelebt hat. Die Zimmer sind hell, überall sind freundlich farbige Einrichtungsgegenstände zu sehen. Am Kühlschrank hängen die Fotos, die Andrés und Alma zeigen, wie sie sich umarmen. Sie läuft durch die Wohnung als wäre es nicht ihre, schaut sich alles an. Alles wirkt schön, aber unpersönlich. Vielleicht liegt das nur an der Art, wie sich Alma durch die Räume bewegt. Spät bemerkt Roberto, dass Alma immer im Auto übernachtet. Sie streitet das erst ab. Eines Morgens hat sie sich bei Andrés nur noch fremd gefühlt, erzählt sie schließlich. Ihr Auto sei aufgebrochen worden. Früher hätte sie dann Andrés angerufen, aber sie hatte keine Lust dazu. Sie erfand eine berufliche Reise und nahm ein paar Dinge mit ins Auto, um dort zu wohnen. Roberto ist entsetzt und überzeugt sie, sich eine neue Wohnung anzuschauen.
Lakonisch erzählt „Lluvia“, wie sehr persönliche Beziehungskrisen verunsichern können, die präsent sind wie ein andauernder Starkregen. Die Bildersprache des Filmes wird getragen von dem ununterbrochen fallenden Wasser. Die Regisseurin Paula Hernández hat dem Film einen ruhigen Rhythmus gegeben, in dessen feinem Spiel die persönlichen Schwankungen von Alma und Roberto sichtbar werden.
Der Film läuft in der Originalfassung mit Untertiteln Do, 18. - Mi, 24. 8., 20.00 Uhr, Fr. 26. bis Mi, 31. 8., 17.45 Uhr im Hamburger Kino 3001, Schanzenstraße 75