: So alt, wie man sich’s macht
ZEITREISE Wer fünfmal am Tag Obst ist, kann in wenigen Sekunden um Jahre jünger werden – zumindest beim Herumspielen am Bio-Alter-Rechner. Die Lösung ist komplexer
■ Bio-Alter-Rechner der AOK: www.aok.de/bundesweit/gesundheit/testen-sie-sich-test-biologisches-alter-13786.php
■ Bio-Alter-Rechner der BKK Wirtschaft und Finanzen: www.bkk-wf.de/bioalter/
■ Bio-Alter-Rechner des Portals Onmeda.de: www.onmeda.de/selbsttests/biologisches_alter. html (hr)
VON HEIDE REINHÄCKEL
Rein kalendarisch werden wir jedes Jahr genau ein Jahr älter. Biologisch gesehen läuft das ganz anders: „Wir kennen fitte 70-Jährige und Menschen, die mit 70 Jahren schon alt und verbraucht sind“, so Andreas Simm, Direktor des Interdisziplinären Zentrum für Alter in Halle (IZAH). Diese Alltagserfahrung versucht die Wissenschaft in ein Schema zu pressen: „Das Bio-Alter beschreibt den biofunktionalen Zustand eines Menschen im Vergleich zum einem Normalkollektiv“, so Simm. Es solle also Informationen darüber geben, wo der Einzelne in seiner Lebensspanne steht.
Doch sowohl das Konzept Bio-Alter wie auch die Bestimmung im Einzelnen ist in der Scientific Community noch umstritten. Simm und seine Kollegen halten sich bei ihren Forschungen an sogenannte Bio-Marker, deren Messung möglichst unaufwändig bei Mensch und übrigens auch Tier möglich ist: „Solche Bio-Marker können zum Beispiel sein: Entzündungsparameter im Blut, der Abfall von bestimmten Hormonen, in funktioneller Hinsicht auch die Weitsichtigkeit, der Verlust der hohen Frequenzen beim Hören oder die Anreicherung von verzuckerten Eiweißen im Gewebe.“
Doch ob aufwändig oder nicht – diese Form der Bio-Alter-Bestimmung erfordert immer eine medizinische Untersuchung. Ganz anders bei den zahlreichen Online-Tests, die uns zur Bestimmung des biologischen Alters auffordern. Die Phalanx der Apps von sehr verschiedenen Anbietern – AOK, RTL oder Fokus Online – scheint viel mit gesellschaftlichen Trends wie Gesundheitsdiktat und Jugendlichkeitswahn zu tun zu haben. Es ist wohl kein Zufall, dass die Ergebnisse bei richtiger Eingabe den Testern schließlich erlauben, deutlich jünger zu sein, als man laut Personalausweis ist.
Doch was bringt das eigentlich? Nicht viel, mein Uwe Springfeld: „Die Bio-Rechner der Krankenkassen haben das Problem, dass es Pi-mal-Daumen-Kalkulationen sind, die da erstellt werden auf Basis statistischer Werte wie dem BMI und Lebenserwartungen bei bestimmten Verhaltensweisen“, so der Berliner Wissenschaftsjournalist. „Wer definiert, was beispielsweise ein 37-Jähriger an bestimmten Fähigkeiten können muss?“
Der studierte Physiker hat sich intensiv mit der naturwissenschaftlichen Sicht auf das Altern auseinandergesetzt. Dabei ist er bei seinen Recherchen auf unerwartete Einsichten gestoßen – zum Beispiel in punkto Sport, den die Bio-Alter-Rechner mit kalendarische Verjüngung belohnen. „Die Sport-These besagt, dass Sport, wenn er mit Stress verbunden ist, schädlich sein kann“, wendet Springfeld dagegen ein.
Zum Beispiel bei Fischen: So habe etwa ein Biologe vom Leibnitz Institut für Altersforschung in Jena einen Grundkärpfling, der ansonsten in stehenden Gewässern lebt, in eine Art Whirlpool gesetzt, wo er gegen die Strömung ankommen musste. Das bekam dem Fisch nicht gut. „Salopp gesagt, Sport kann auch Mord sein“, so Springfeld – das sei die überraschendste Entdeckung seiner Recherchen zum Thema Alterungsprozesse gewesen.
Neben einer ausgewogenen Ernährung, Kraft- und Ausdauersport sowie regelmäßiger Bewegung empfiehlt auch der Altersexperte Simm, Stress zu vermeiden. Für ihn liegen die Vorteile des Bio-Alters vor allem in der Messbarkeit, ob Präventionsmaßnahmen kurz- und mittelfristig anschlagen. „Das Konzept des Bio-Alters weist auf die Möglichkeit hin, sich selbst positiv zu beeinflussen und ein gutes Leben bin ins hohe Alter zu ermöglichen.“ Es ist also nicht ratsam, sich auf den guten Anlagen auszuruhen: „Nur 25 Prozent des Alterungsprozesses wird von den Genen gesteuert, für die restlichen 75 Prozent ist der verantwortlich, der aus dem Spiegel zurückschaut, wenn wir hineinschauen.“ Das Positive in punkto Alter sei insofern: wir könnten selbst viel zum Gelingen beitragen.
Allerdings sieht Simm bei der Bestimmung des Bio-Alters auch die Gefahr des Missbrauchs persönlicher medizinischer Daten. Tatsächlich kann man sich fragen: was passiert, wenn Versicherungen individuelle Tarife anbieten, die solche Angaben berücksichtigen, oder Personalschefs bei der Bewerberauswahl darauf zurückgreifen.
Der Wissenschaftsjournalist Springfeld dagegen befasst sich nicht mit den Gefahren einer zukünftigen Gesundheitsdiktatur, sondern mit dem State of the Art der Altersforschung: „Mein persönlicher Eindruck ist, dass der Sachverhalt Altern komplex ist. Den Forschern fehlt jedoch das Problembewusstsein, um über disziplinäre Grenzen zu forschen.“ Ein Modell, das die verschiedenen Blicke auf den menschlichen Körper vereine, von der molekularen Ebene über die Organe bis zur Psyche, das gebe es längst noch nicht. „In der Altersforschung geht vieles an Krücken.“