: Das Schöne, das Brutale
AUGENZEUGE Kaum ein Konflikt ist so vergessen wie der in West-Papua. Der Fotograf Wolf Böwig hat ihn dokumentiert. In der sonntaz erzählt er die Geschichten hinter den Bildern
„Unbedingt. Auf den ersten Blick ist das Land geografisch wunderschön. Nichts weist auf den blutigen Konflikt hin, der in den vergangenen fünfzig Jahren geschätzte 100.000 Papuas das Leben gekostet hat. Es ist ein Konflikt, über den kaum berichtet wird. Man kann ihn zu den vergessenen Kriegen rechnen, geschichtlich war er nie opportun.“
Er war einfach eingereist, als Tourist, im Mai, der Fotograf Wolf Böwig. Es war ein Risiko, offiziell darf kein Journalist eindringen nach West-Papua. „Machst du ein Problem? Wir töten dich – kein Problem“, sollen indonesische Militärs, die das Land kontrollieren, zu einem Journalisten gesagt haben.
1963 hatte das indonesische Militär den Westteil der Insel Neuguinea nördlich Australiens besetzt. Die Papua-Kultur wurde verboten, geschätzte 150.000 Ureinwohner wurden seither ermordet. Das Land ist reich an Rohstoffen, Indonesien will Gold und Kupfer, Erdgas und Tropenhölzer. Die Gesellschaft gilt als eine der korruptesten überhaupt, der Dschungel als einer der undurchdringlichsten. Ein Großteil des Landes ist nur zu Fuß oder mit dem Flugzeug erreichbar.
„Es sind Gäste einer Hochzeitsgesellschaft, sie laufen ganz in der Nähe von dem Fluss, an dem der Junge steht. Sie tragen die traditionelle Tracht, kombiniert mit BHs - die Papua gehen normalerweise oben ohne - und Sonnenbrillen. Sie laufen durch das Dorf zu dem Fest, das einige Tage dauern wird. Wir haben das Fest zuerst nur gehört und dann erst gesehen, die Papua feiern sehr laut, archaisch. Sie schreien, rufen, singen, fast mantraartig. Die ganze Gegend hallte nach.“
Böwig reiste mit konkreten Fragen in das Land. Was bedeutet für die Papua Autonomie? Freiheit? Unabhängigkeit? Wie kämpfen sie darum? Er traf auf Menschen, die 300 Tage im Jahr als Bauern arbeiten – und dann, wenn es wieder einen Konflikt gibt, sich mit Speeren und Bögen bewaffnen, ihre traditionelle Kriegsbemalung anlegen, kämpfen. Er konfrontierte Befreiungskämpfer mit einem Foltervideo, das im vergangenen Jahr aufgetaucht war. Es sind schwer auszuhaltende Szenen. Szenen, die Böwig normalerweise nicht fotografieren würde. Aber er hat eine Haltung, beobachtet nicht nur, sondern greift ein.
„Wir suchen Blumen, wo der Wald in Brand gesteckt wurde“, sagt Böwigs Weggefährte, der portugiesische Autor Pedro Rosa Mendes, über die Arbeit mit dem Fotografen. Und wieder hat Böwig sie gefunden, die Blumen: den Jungen, der am Flussufer steht, die Sonne, wie sie über den Inseln aufgeht – und für einen Moment vergessen lässt, welch brutaler Konflikt sich unter der Oberfläche des Landes abspielt.
„Die Skulptur zeigt den indonesischen Soldaten, der 1961 für das Recht der Papua einstehen sollte. Retrospektiv hat sich seine Aufgabe ironisch ins Gegenteil verkehrt: Von demjenigen, der das Recht der Papua beschützen sollte, ist er zu dem geworden, der ihr Recht unterdrückt. Das Denkmal anzugreifen wäre für einen Papua undenkbar. Die Papuas haben nichts zu melden. Mittlerweile sind schon die Hälfte der Einwohner Indonesier, Tendenz steigend. Wenn ein Papua nur mal seine Morgensternflagge hisst, drohen ihm bis zu zehn Jahre Gefängnis. Da macht wegen so einem Denkmal keiner auch nur den Mund auf.“
In seiner Arbeit mischt Böwig dokumentarisch fotografierte Digitalbilder in Farbe mit der analogen Schwarz-Weiß-Technik, für die er seit dem Ende der Achtzigerjahre bekannt geworden ist und für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. Genau durch diesen formalästhetischen Bruch ist ein Werk entstanden, das die Kluft, die Brüche dieses im Verborgenen umkämpften Landes spiegelt.
„Er ist einer der wenigen Menschenrechtsanwälte in Papua. Seinen Namen dürfen wir nicht nennen. Er hat außerhalb studiert, in Jakarta, als einer von ganz wenigen. Er kümmert sich um inhaftierte Aktivisten, macht Deals, damit sie nicht jahrelang im Gefängnis sitzen. Offensichtlich hat er gute Kontakte in die indonesische Regierung - denn er ist frei. Außerdem hat er eine gewisse Popularität - wenn er einfach verschwinden würde, gäbe es Unruhen, dessen sind sich die Indonesier natürlich bewusst. Aber es ist ein Burgfrieden. Wie viele Waffen hat der Papst? Wenn sie einen Aufstand provozieren wollen, dann schnappen sie sich jemanden wie diesen Anwalt.“
JANA PETERSEN
■ Wolf Böwig, 47, wurde im August für seine Fotoreportagen aus Afghanistan und Pakistan und aus den Bürgerkriegsgebieten Westafrikas für den Marion Dönhoff Preis für internationale Versöhnung und Verständigung nominiert.