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Archiv-Artikel

Das Abc der Demo

RECHT Demos machen die Demokratie lebendig. Hier hört man die, die sich nicht richtig vertreten fühlen. Nur: Was ist eigentlich erlaubt? Trommeln? Einfach loslaufen?

Das Demonstrationsrecht gilt für eine Versammlung nur dann, wenn die Teilnehmer auch politische Forderungen stellen. Es reicht nicht, mit Musik und Tanz das Lebensgefühl einer Subkultur auszudrücken

TEXT CHRISTIAN RATH ILLUSTRATION JULIANE PIEPER

Anmeldung: Kundgebungen müssen nicht vom Staat genehmigt werden. Allerdings sind Demos unter freiem Himmel 48 Stunden vor Beginn bei den Behörden anzumelden, heißt es im Versammlungsgesetz. Das soll den Behörden Maßnahmen zum Schutz der Versammlung ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht, kurz BVerfG, hat die Anmeldepflicht 1985 unter zwei Bedingungen akzeptiert: Spontandemos müssen ohne Anmeldung möglich sein, wenn sich Menschen über ein aktuelles Ereignis empören. Und: Eine fehlende Anmeldung allein darf nicht dazu führen, dass eine Demonstration verboten wird.

Brokdorf-Beschluss: 1981 planten Umweltschützer eine Großdemo am Bauplatz des AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein. Weil Ausschreitungen befürchtet wurden, erließ das Landratsamt ein Demoverbot auf 210 Quadratkilometern. Die Demo fand mit 50.000 Menschen trotzdem statt und blieb überwiegend friedlich. Vier Jahre später äußerte das BVerfG Bedenken gegen den Umfang des Demoverbots. Das Gericht betonte hier erstmals die Bedeutung der Versammlungsfreiheit, sie gehöre zu den „unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens“. Der Richterspruch gilt heute noch als Meilenstein, mit dem viele Grundsatzfragen entschieden wurden.

Critical Mass: Unter diesem Titel treffen sich Fahrradfahrer in vielen Städten (siehe Kasten), um gemeinsam auf öffentlichen Straßen zu fahren. Das Motto: „Wir behindern nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr.“ Mit diesem Selbstverständnis wird eine Critical Mass auch nicht als Demonstration angemeldet, obwohl es faktisch eine ist. Oft berufen sich die Initiatoren auf eine Bestimmung in der Straßenverkehrsordnung, die einer Gruppe von mehr als 15 Radfahrern erlaubt, im „geschlossenen Verband“ zu fahren. Doch auch dann dürften sie nur „zu zweit nebeneinander“radeln, müssten sich dabei rechts halten, und ein „Führer“ müsste die Einhaltung der Vorschriften kontrollieren. Da auch das dem Verständnis der Critical Mass widerspricht, bewegt sie sich in einer Grauzone, wird darin aber meist geduldet.

Demo gegen Demo: Auch gegen eine unerwünschte Versammlung darf demonstriert werden – solange es bei der Meinungskundgabe bleibt. Die „grobe Störung“ einer anderen Versammlung ist jedoch strafbar. Die Polizei muss dafür sorgen, dass die ursprüngliche Versammlung wie geplant stattfinden kann. Diese darf auch nicht aus Angst vor gewaltbereiten Gegendemonstranten verboten werden, hat das BVerfG schon öfter entschieden. Wenn die Kräfte der Polizei nicht ausreichen, einen Abmarsch der ursprünglichen Demo durchzusetzen, muss zumindest eine stationäre Kundgebung erlaubt werden.

Eingriffe der Versammlungsbehörde: Wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung „unmittelbar gefährdet“ ist, kann eine Demo laut Versammlungsgesetz vorab verboten oder nach Beginn aufgelöst werden. Das BVerfG hat mehrfach entschieden, dass vage Befürchtungen hierfür nicht genügen. Erforderlich sind konkrete Hinweise, dass von der bevorstehenden Demo Gewalt oder illegale Handlungen ausgehen. Wenn nur von einer Minderheit der Demonstranten Gewalt droht, müssen sich Polizeimaßnahmen gegen diese Minderheit richten, bevor die ganze Demo verboten wird. Drohende Gewalt von Gegendemonstranten ist gar kein Verbotsgrund. Wenn Auflagen genügen, ist ein Verbot unzulässig. Typische Auflagen sind: Der Lautsprecherwagen darf nicht zu laut sein, eine bestimmte Route wird vorgeschrieben, Springerstiefel sind untersagt.

Filmen: Laut Versammlungsgesetz dürfen Teilnehmer einer Demonstration nur gezielt gefilmt oder fotografiert werden, wenn eine „erhebliche Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Oft macht die Polizei „Überblicksaufnahmen“, um ihre Einsätze zu steuern. Das Verwaltungsgericht Berlin verlangte hierfür 2009 eine gesetzliche Ermächtigung, die es in weiten Teilen Deutschlands jedoch nicht gibt. Das BVerfG hat 2009 in einem Eilbeschluss zum bayerischen Versammlungsrecht entschieden, dass Überblicksaufnahmen nur bei „unübersichtlichen Demonstrationen“ erlaubt sind.

Grundrecht: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, besagt Artikel 8 im Grundgesetz. Dieses Grundrecht steht aber unter Vorbehalt: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.“ Seit 2006 können die Länder eigene Versammlungsgesetze erlassen. Davon haben Bayern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Niedersachsen Gebrauch gemacht. Die Gerichte prüfen, ob einschränkende Gesetze und Behördenentscheidungen verhältnismäßig sind.

Haft: Um unmittelbar bevorstehende Straftaten oder Störungen zu unterbinden, kann die Polizei Menschen in Gewahrsam nehmen. Es geht dabei nicht um Strafe, sondern es geht um Gefahrenabwehr. Ein derartiger Gewahrsam kann – je nach Bundesland – zwischen zwei Tagen (Berlin) und zwei Wochen (Bayern) dauern. Die Polizei muss allerdings „unverzüglich“ eine richterliche Entscheidung herbeiführen. Der Gewahrsam muss beendet werden, wenn die Gefahr vorüber ist, etwa nach dem Ende der Demonstration. Problematisch ist vor allem, wenn die Polizei Hunderte von Menschen in Gewahrsam nimmt, und es dann aber viel zu lange dauert, bis Richter über die Zulässigkeit des Gewahrsams entschieden haben.

Instanzen: Wenn eine Versammlung verboten wird oder Auflagen erhält, kann der Veranstalter beim Verwaltungsgericht klagen. Viele Kläger gehen im Instanzenweg bis nach Karlsruhe. Das BVerfG vertritt die Grundlinie: Wer friedlich seine Meinung kundtun will, wird dabei unterstützt, auch und gerade wenn diese Meinung weithin abgelehnt wird. Keine Unterstützung erhält dagegen, wer unter dem Vorwand zu demonstrieren, Gewalt ausübt oder andere behindert.

Jugendkrawalle: Plünderungen, wie sie gerade in Londons Straßen zu verfolgen waren, sind nicht vom Grundrecht auf friedliche Versammlung geschützt – auch wenn sie mit Protesten gegen übertriebene Polizeigewalt begannen.

Kessel: Die Umkesselung einer Versammlung durch Polizisten ist eine freiheitsbeschränkende Maßnahme, die dem Gewahrsam ähnelt. Sie ist laut einem Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster von 2001 nur zulässig, wenn die Versammlung von der Polizei vorher aufgelöst wurde.

Loveparade: Das Demonstrationsrecht gilt für eine Versammlung nur dann, wenn die Teilnehmer politische Forderungen stellen und an der öffentlichen Meinungsbildung teilhaben. Es reicht also nicht aus, mit Musik und Tanz das Lebensgefühl einer Subkultur ausdrücken zu wollen. Das hat das BVerfG 2001 im Fall der Berliner Loveparade entschieden. Die Folge: Ein Verbot unpolitischer Umzüge ist leichter möglich. Und die Veranstalter müssen selbst für die Müllbeseitigung aufkommen.

Militante Kleidung: In Bayern wurde 2008 ein Verbot militanter Kleidung eingeführt, welches sich gegen den schwarzen Block auf Autonomen- und Neonazi-Demonstrationen richtete. Das „äußere Erscheinungsbild von Demonstranten“ dürfe demnach nicht den „Eindruck von Gewaltbereitschaft“ machen, so heißt es im Gesetz. Seit einer Eilentscheidung des BVerfG 2009 dürfen bei Verstößen keine Bußgelder mehr verhängt werden.

Nötigung: Andere in „verwerflicher“ Weise mit Gewalt oder Drohungen zu einem bestimmten Verhalten oder Unterlassen zu zwingen, ist strafbar. Eine normale Demonstration führt zwar zu Behinderungen des Straßenverkehrs, zielt aber nicht auf diese ab, sie ist daher nie als Nötigung strafbar. Eine Blockade zielt dagegen auf die Behinderung ab und kann daher strafbar sein. Solange die Blockade friedlich ist und der Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs dient, wird sie laut BVerfG 2001 aber noch vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt. Geht es bei einer Blockade jedoch um die „Selbsthilfe-ähnliche Durchsetzung von Forderungen“, dann fehlt schon der Schutz des Grundrechts. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht ebenfalls im Jahr 2001. Konkret ging es hierbei um eine 29-stündige Autobahnblockade von Roma, die sich die Einreise in die Schweiz erzwingen wollten.

Ort: Demonstranten können selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt ihrer Veranstaltung bestimmen, betonte das BVerfG in seinem Brokdorf-Beschluss. Das Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter kann zur Abwehr von Gefahren für „gleichwertige Rechtsgüter“ aber eingeschränkt werden. Auch im Brokdorf-Beschluss war ein Demoverbot „in emotionalisierender Nähe“ zum Bauzaun akzeptiert worden, um militante Aktionen zu verhindern.

Privatgelände: Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar darf man auch auf dem Gelände von Flughäfen und Bahnhöfen demonstrieren, weil sich jene meist im Besitz der öffentlichen Hand befinden. Es blieb allerdings offen, ob auch ein Demonstrationsrecht in rein privaten Einkaufszentren besteht.

Rechtsradikale: Ende der Neunziger wurden Demos von Rechtsradikalen fast routinemäßig von den Behörden verboten. Damals verteidigte das BVerfG das Grundrecht intensiv, Richter mussten oft an Wochenenden entscheiden. 2005 hat Rot-Grün Verbote und Auflagen für die Demos von Rechtsradikalen erleichtert. Nun sind Gedenkstätten für NS-Opfer, wie das Berliner Holocaust-Mahnmahl, besonders geschützt. Außerdem ist seitdem die Billigung der NS-Herrschaft als Volksverhetzung strafbar. Das erleichtert auch das Verbot rechter Demonstrationen, etwa des Heß-Gedenkmarschs in Wunsiedel. Das BVerfG billigte 2009 diesen Eingriff in die Meinungsfreiheit. Er sei wegen der „Schrecken“ der NS-Herrschaft zulässig.

Sitzblockade: Auch friedliche Blockaden sind grundgesetzlich geschützte Versammlungen. Sie können von der Polizei aber aufgelöst werden. Umstritten ist, ob Sitzblockaden auch strafbar sind. 1995 hat das BVerfG dies verneint, weil ein Sitzprotest die Autofahrer nur psychologisch zum Halten zwinge, das sei keine Gewalt. Der Bundesgerichtshof entschied dann später, dass eine Sitzblockade als Nötigung bestraft werden kann, wenn sich ein Stau bilde. Denn ab der zweiten Reihe behindern die stehenden Autos als Barriere den Verkehr. Das Verfassungsgericht hat diese Sichtweise im März 2011 gebilligt.

Trommeln: Die Freiburger Polizei beschlagnahmte 2010 die Trommeln der linken Samba-Gruppe Sambasta, weil sie gefährlich laut gewesen seien. Die Trommler dagegen halten Trommeln auf Demos für sozialadäquat und haben Klage eingereicht.

Uniformen: Bei Versammlungen sind Uniformen verboten, so das Versammlungsgesetz. Ausnahmen gelten nur für Pfadfinder und ähnliche Jugendgruppen – und natürlich für die begleitende Polizei.

Vermummung: Seit 1985 ist es verboten, „in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern“, an Demos teilzunehmen. Seit 1989 ist ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot sogar strafbar. Die Angst vor Berufsverboten oder Geheimdiensten wird nicht als Rechtfertigung akzeptiert. Angst vor Nazis führte vereinzelt dazu, dass Verfahren gegen Demonstranten eingestellt wurden.

Waffen: Auf Demonstrationen sind Waffen wie Messer und Knüppel verboten. Seit 1985 ist es außerdem verboten, sogenannte Schutzwaffen wie Helme und Knieschützer mitzuführen – wenn sie dafür bestimmt sind, sich gegen Polizeimaßnahmen zu wappnen. Seit 1989 ist ein Verstoß strafbar. Die Benutzung von „Schutzwaffen“ wird als Indiz für Gewaltbereitschaft gesehen.

Ziviler Ungehorsam: Hier wird gezielt das Recht gebrochen, um gegen Missstände zu protestieren. Auch das ist nicht vom Demonstrationsrecht gedeckt. Traditionell soll ziviler Ungehorsam durch die Bereitschaft, sich verurteilen zu lassen, den Ernst des eigenen Anliegens und die Illegitimität der Gegenposition unterstreichen. Ein Recht auf zivilen Ungehorsam gibt es darum nicht. Allerdings kann eine Strategie des Massenungehorsams darauf setzen, dass sich so viele Personen an illegalen Aktionen beteiligen, dass eine Ahndung praktisch oder politisch nicht durchsetzbar ist.

Christian Rath, 46, ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. 23 Demo-Begriffe hat er erläutert. Wer einen mit Q, X oder Y findet, bitte an sonntaz@taz.de mailen