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Archiv-Artikel

„Schwarze Leben zählen“

USA In New York City und zahlreichen anderen Städten demonstrierten am Samstag Zehntausende Menschen gegen rassistische Polizeigewalt und die Untätigkeit der Justiz

„Hände hoch hilft nicht – wir brauchen Fäuste“

TRANSPARENTAUFSCHRIFT

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

„Das Einzige, das ich mir zu Weihnachten wünsche, ist, dass ich in Amerika zähle.“ Mit diesem handgeschriebenen Satz auf einem Transparent zog am Samstag ein junger Afroamerikaner über die Pennsylvania Avenue in der Hauptstadt Washington. Ein paar Meter weiter vertraute eine Großmutter aus Missouri Journalisten an, dass ihre Generation es in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre verpasst habe, „das Problem zu lösen“. Sie sei, sagte sie, „müde vom Weinen“.

Das Problem ist rassistische Polizeigewalt sowie die Untätigkeit der Justiz. Der Teenager und die Großmutter waren zwei von Zigtausenden, die am Samstag dagegen an vielen Orten der USA demonstrierten. Unter ihnen waren Alte und Junge, ganze Schulklassen und Familien sowie Menschen aller Hautfarben. ProfisportlerInnen und Stars aus dem Showbusiness traten mit T-Shirts auf mit der Aufschrift „I can’t breathe“ – „Ich bekomme keine Luft“. Diese letzten, von einem Passanten per Handy gefilmten Worte des im Juli von einem Polizisten in New York erwürgten 43-jährigen Eric Garner haben das Land aufgerüttelt.

Anders als bei den vorherigen Blockaden, die spontan waren, oft abends stattfanden und an denen sich meist nur wenige Dutzend Menschen beteiligten, folgten die Demonstrationen am Samstag festen Routen.

In Washington, wo der Bürgerrechtler und TV-Moderator Al Sharpton 5.000 Menschen erwartet hatte, folgten 25.000 Menschen seinem Aufruf zur „Justice for all“-Demonstration. Mütter und ein Vater von Männern, die von Polizisten getötet worden sind, hielten Ansprachen. Die Mutter des zwölfjährigen Tamir Rice, den ein Polizist auf einem Spielplatz erschossen hat, wo der Junge mit einer Spielzeugpistole hantiert hatte, verlangte, dass der Beamte sich vor Gericht verantwortet müsse. Al Sharpton forderte das Justizministerium auf, besondere Ermittlerstellen für polizeiliche Verbrechen zu schaffen. Bislang obliegen solche Ermittlungen örtlichen Staatsanwälten, die wegen ihrer täglichen Zusammenarbeit mit den verdächtigen Polizisten befangen sind, sowie sogenannten „Grand Jurys“, die den Empfehlungen der Staatsanwälte folgen. Ein Transparent in Washington lautete: „Hände hoch hilft nicht – wir brauchen Fäuste und wir müssen zurückkämpfen“.

Andernorts kamen die Demos kurzfristiger und fast ausschließlich über Aufrufe per Facebook und Twitter zustande. Neben den inzwischen landesweit verbreiteten Rufen „Black Lives Matter“ („Schwarze Leben zählen“) und „Hands Up – Don’t Shoot“ („Hände hoch – Nicht schießen“) enthielten sie direkte Kritik an Polizisten. „Wie buchstabiert ihr rassistisch?“, lautete eine Frage beim „Millions March“ mit rund 60.000 Menschen in New York. Gefolgt von der Antwort: „N-Y-P-D“ für das Kürzel der New Yorker Polizei. Manche verglichen Polizisten mit dem „Ku-Klux-Klan“ (KKK), nannten sie „faschistisch“ und bezeichneten sie als „New Yorks größte Verbrecherbande“.

Ebenfalls in New York trug einige Demonstranten ein mehrere Meter breites Schwarz-Weiß-Bild von den Augen Eric Garners. Schüler, die im Unterricht über Polizeigewalt diskutiert hatten, kamen mit Schildern mit Sätzen wie: „Ich bin mehr als eine Hautfarbe“. Und: „Gaza. Ferguson. Und mein Stadtteil“.

Längs der offiziellen Demonstrationsroute ließ sich die Polizei kaum blicken. Doch am späteren Abend, nachdem sich die Großdemonstration aufgelöst hatte und sich kleinere Gruppen in Bewegung setzten, trat die Polizei sowohl auf den Straßen als auch mit zahlreichen Hubschraubern stark auf. Hunderte Demonstranten blockierten dennoch zu dem Ruf „Shut it Down“ („Legt es still“) die Brooklyn Bridge. Später erklärten NYPD-Sprecher, zwei Beamte seien auf der Brücke körperlich angegriffen worden.

Andernorts trat die Polizei schon am Nachmittag martialisch auf. In Denver kamen Polizisten mit mindestens einem der geländegängigen „Humvee“-Fahrzeuge, die für die Wüstenkriege der USA entwickelt wurden, zur Demonstration. In Chicago begann die Polizei um 16 Uhr mit Festnahmen, als Demonstranten ein Sit-in in einem Kaufhaus versuchten. In San Francisco traten Polizisten gleich mit Helmen, herabgelassenen Visieren und Knüppeln auf, die sie in beiden Händen hielten.