piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine Falle ohne Ein und Aus

THEATER „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz ist gleich auf sechs deutschsprachigen Bühnen zu sehen. In Berlin hat Daniela Löffner die absurde Irrsinnsfahrt durch Afghanistan inszeniert

Wenn das neue Stück eines jungen, fast unbekannten Autors innerhalb einer Saison an sechs Bühnen gespielt wird, dann muss der Autor einen starken Nerv getroffen haben. Wolfram Lotz’ „Die lächerliche Finsternis“ erlebte seine Uraufführung im September am Wiener Akademietheater und zwei Monate später die deutsche Erstaufführung am Thalia in Hamburg – Bühnen in Berlin, Essen, Wiesbaden und Luzern folgen.

Lotz schreibt keine leicht konsumierbaren Well-made-Plays. Er ist ein renitenter, geradezu größenwahnsinniger Autor, er will die Möglichkeiten des Theaters übersteigen, so wie die Wirklichkeit, sagt er, dessen Möglichkeiten übersteigt. Lotz – das unterscheidet ihn von so manchem Epigonen einer schicken Postdramatik – missachtet Absprachen auf der Bühne nicht deshalb, um sie missachtet zu haben. Nein, er bricht die Regeln, weil er mit allem Ernst und vollem Herzen dem auf der Spur ist, was Wirklichkeit bedeutet. Von ihr sagt er: Ja, sie existiere, es gebe sie als alltägliches Grauen, und man dürfe sie nicht mit einem „harmlosen Theatertext“ verwechseln.

Im neuen Stück bezieht sich Lotz auf Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ und die Filmadaption von Francis Ford Coppola, „Apocalypse Now“. Zu Beginn hält ein Pirat, ein „schwarzer Neger aus Somalia“, vor einem Hamburger Gericht seine Verteidigungsrede. Dessen Geschichte verzahnt Lotz mit dem Haupterzählstrang zweier deutscher Soldaten, die auf eine Reise durch Afghanistan geschickt werden, um einen Oberstleutnant dingfest zu machen, der im Wahn zwei Kameraden erschossen hat.

In Daniela Löffners Inszenierung am Deutschen Theater Berlin hält Kathleen Morgeneyer den Monolog des Piraten. Sie erzählt von leergefischten, wasserlosen Meeren und von ihrem Diplom in Piraterie. Danach entern Alexander Khuon als machohafter Hauptfeldwebel Pellner und Moritz Grove als subalterner Unteroffizier Dorsch die Szene – es sind allesamt tolle Besetzungen. Auf einem schwebenden Podest mit einer Reling aus dicken Plastikplanen beginnt die Reise auf dem Fluss Hindukusch. Fluss? Pellner erklärt: „Die Leute sehen was im Fernsehen und meinen dann zu wissen, dass der Hindukusch ein Gebirge ist. Ich aber war da. Ich bin den Hindukusch hochgefahren.“

Es ist die Realität der Bilder, der Lotz misstraut. Was wissen wir schon über ein Land, das uns nur durch mediale Filter übermittelt wird? Die Fahrt in die Finsternisse des Krieges wird zur Expedition in die Irrsinnswelt des eigenen Innern. Claudia Kalinskis Bühne zeigt das augenfällig: Die Folie wächst und wächst, am Boden und in den Lüften, es ist eine Falle ohne Ein und Aus, im gleißenden Weiß werden alle zu Insassen einer gigantischen Gummizelle. Denn darauf kommt es der Regie an: Sie zeigt, neben den pointierten Slapstick-Einlagen von Khuon, Grove und Morgeneyer, den existenziellen Wahnsinn dieser militärischen Expedition.

In raschen Kostümwechseln spielt Morgeneyer alle Figuren, denen die Soldaten in der Wildnis begegnen: den italienischen Blauhelm-Kommandanten, der wegen der „unzivilisierten Barbaren“, die immer Spritzer auf der Klobrille hinterlassen, den Verstand verliert; den Reverend, der die Frauen vom Islam erlösen will, damit sie ihre hübschen Beine zeigen; schließlich den verrückten Oberstleutnant, der verschwunden war. Der aber macht eine Rechnung auf, die alle gängige Freund-Feind-Logik über den Haufen wirft: Wenn es wirklich darum gehe, durch den Krieg Menschenleben zu retten, dann sei es doch klar besser gewesen, die zwei Kameraden zu erschießen als die 24 Feinde!

Ein echter Lotz-Irrwitz. Alles ist letztlich ein mentales Konstrukt. Der Wahnsinn liegt nicht im Krieg und Morden an sich. Sondern in der Logik, die diese Kriege plausibel macht.

BARBARA BEHRENDT