: Fast nur noch im Ausland beliebt
Globalisierte Tradition: Während man in Frankreich bei Cognac fast nur noch an alte Männer mit Wohlstandsbauch denkt, die allein am Kamin im Sessel ruhen und Zigarre rauchen, hat sich das Getränk einen wichtigen Platz in der Protzkultur der Rap-Szene erobert
Das Städtchen Cognac, 100 Kilometer nördlich von Bordeaux am Ufer des Flusses Charente gelegen, lebt seit dem 18. Jahrhundert vor allem von der Schnaps- und Branntweinherstellung. Wer mehr über das Getränk und seine Herstellung sowie den Weinanbau auf den 80.000 Hektar umgebenden Weinbergen wissen will, kann (gegen Eintritt) die Produktionsstätten von Cognac-Herstellern und das örtliche Cognacmuseum (Musée des Arts du Cognac) besuchen. Der Hersteller Rémy Martin organisiert auch Cognac-Labors zur Gaumenschulung.
Am 12. September 1494 kam im Schloss von Cognac François de Valois zur Welt, der spätere König François I. (1515–1557). Er legte die Grundlagen für den französischen Zentralismus im Innern sowie den Expansionismus in Europa. Seine Familie betrieb auch eine intensive grenzüberschreitende Hochzeitspolitik. Damals war Carnac eine Hochburg des französischen Protestantismus. Im Schloss sind mit lebensgroßen Puppen Szenen aus dem Leben der Valois nachgestellt. Ebenfalls im Schloss von Cognac gibt es Details über die kleinen und großen Geschäfte mit dem Schnaps, zum Beispiel über den Austausch von Kriegsgefangenen gegen Schnaps. Und in jedem April organisiert die Stadt Cognac ein mehrtägiges Kriminalfilmfestival.
Im ebenfalls an der Charente gegelenen Nachbarort Jarnac ist 1916 François Mitterrand zur Welt gekommen, in einer Familie, die Jahrzehnte später in Politzirkeln in Paris „Essighändler“ geschimpft wurde. Die Geschenke, die Mitterrand als Staatspräsident (1981–1995) erhalten hat, sind in einem Museum in Jarnac ausgestellt. Sein Grab auf dem Dorffriedhof ist im Januar Pilgerziel für Sozialisten. DH
VON DOROTHEA HAHN
Krisen kennt das französische Provinzstädtchen Cognac nicht. Während andernorts der Absatz stagniert oder sinkt, verkaufen die vier großen Cognac-Hersteller, die mehr als 85 Prozent des Weltmarktes beherrschen, mehr denn je. Die meisten Flaschen gehen in die USA, gefolgt von Asien, wo der chinesische Markt Wachstumsraten von jährlich 40 Prozent verzeichnet. Deutschland ist der vierte Kunde.
Trotz Preisen, die von ein paar Dutzend bis zu mehreren hunderten und mehr Euro pro Flasche reichen, fließt der Cognac in Strömen. Mit steigender Tendenz. Bloß in Frankreich tröpfelt er. Franzosen aller Altersklassen ziehen Whisky vor: Zum „Appéro“. Zum „Digestif“. Und als alkoholische Basis beim „Vorglühen“ für lange Nächte. Die Ursprünge dieser Präferenz reichen in den Sommer 1944 zurück, als die GIs aus dem Meer kamen. Seither hat das Getränk der US-Soldaten zunehmend die französische Tradition verdrängt. Heute konsumieren die Franzosen allein so viel Whisky, wie der Rest der Welt zusammen Cognac trinkt. Whisky ist billiger. Hat oft mehr Alkohol. Und gilt als „jung“, „cool“ und „gesellig“. Cognac hingegen lässt an alte Männer mit Wohlstandsbauch denken, die allein und Zigarre rauchend im Sessel am Kamin ruhen und ihre Tage mit fingerhoch gefüllten tulpenförmigen Gläsern ausklingen lassen.
Den französischen Markt haben die Cognac-Hersteller beinahe aufgegeben. Aber die französischen Kulissen benutzen sie weiter. „Wir verkaufen auch den Eiffelturm und König Ludwig XIV.“, sagt Werbe-Kader Jérôme Durand, den die Cognac-Hersteller einer anderen Spirituosenmarke abgeworben haben.
Im sanft gewellten Land der Umgebung wachsen auf sechs verschiedenen Lagen weiße Trauben mit säuerlichem Geschmack, die zu Cognac verarbeitet werden. In Lagerhallen mit tausenden von Eichenfässern reiften sie nach ihrer doppelten Destillierung weiter. Erst in den Fässern bekommen sie ihre cognacbraune Farbe, und dort geht alljährlich 3 Prozent Flüssigkeit durch Verdunstung verloren. Der Stadt gibt das den süßlichen Geruch. Und ihren Fassaden die schwarze Patina. Die stammt von Torula compniacensis, einem Pilz, der sich von dem aromatischen Dunst aus den Fässern ernährt. Selbstverständlich dürfen nur Trauben, die rund um Cognac wachsen und dort nach einer zweifachen Destillierung weiterreifen, die Markenbezeichnung „Cognac“ tragen. Jedes andere Getränk bleibt vulgärer Branntwein, mag es noch so ähnlich hergestellt sein und schmecken. Zwei Jahre im Eichenfass sind das Mindeste für Cognac. Doch die Reifung kann bis zu mehreren Jahrzehnten dauern. Sie wird erst unterbrochen, wenn das fertig verschnittene Getränk in der Flasche ist. Es gilt: je länger ein Cognac gereift ist, desto besser. Und desto teurer.
Von Cognac aus soll Werbe-Kader Durand den Kunden in aller Welt erklären, dass der örtliche Branntwein einerseits jahrhundertealtes französisches „Savoir vivre“ repräsentiert und andererseits so modern ist wie die gerade aktuelle Jugendkultur. „Ich will den Cognac entweihen“, sagt er. Und plädiert für Verstöße gegen die Orthodoxie, die traditionelle Cognac-Trinker zur Verzweiflung treiben: von Sirup- und Limonadebeigaben bis hin zu eisgekühlten Gläsern. Damit die Nachfrage weitersteigen kann, will Durand auch den Cognac von seinem Ruf als „Digestif“ befreien. Denn ein Digestif wird nur einmal getrunken – am Ende der Malzeit zur Verdauung. Der Cognac soll vorrücken, Durand will ihn „vom letzten zum ersten Glas machen“.
Mit Stilbrüchen arbeitet auch die Marke „Martell“. Der Salon in ihrem Schloss bei Cognac ist wie ein englischer Pub eingerichtet: mit buntem Kassettenteppichboden, Dartbrett an der Wand und ledernen Sitzgruppen. Kellermeister Bruno Lemoinier empfängt im dunkelblauen Anzug, den er mit bonbonrosa Socken und ebensolcher Krawatte kombiniert hat. Seinen Gästen kredenzt er Cognac mit Eiswürfeln. Grinsend erklärt Lemoinier: „Es geht darum, zu zeigen, dass man Cognac jederzeit und jeder Art trinken kann.“
Der 45-jährige Lemonier ist die „Nase“ des Hauses. Er verdient seinen Lebensunterhalt damit, immer neue in Eichenfässern gereifte Branntweine zu verschneiden. So lange, bis der Cognac den richtigen Geschmack hat und in Flaschen abgefüllt werden kann. In manchen Flaschen kommen dabei mehr als hundert verschiedene Jahrgänge und Reifegrade zusammen. Manche Verschnitte, an denen Lemonier heute arbeitet, werden erst lange nach seiner Verrentung auf den Markt kommen.
Als einer der vier großen Namen der Branche hat Martell den dazu nötigen langen Atem. 1988 wurde der frühere Familienbetrieb von dem kanadischen Seagram-Konzern aufgekauft. Dreizehn Jahre später geriet er durch eine neue Börsenoperation in die multinationale Pernod-Ricard-Gruppe. In dieser zweiten Gruppe im internationalen Spirituosengeschäft ist der Cognac nur noch eine kleine Nummer. Die Gruppe produziert fast alle Alkoholsorten des Planeten: von Whisky über Rum und Wodka bis hin zu Tequila. Zum Ärger französischer Winzer vermarktet sie auch australische, spanische und andere ausländische Weine. Kellermeister Lemoine will die Produktkonkurrenz innerhalb der eigenen Gruppe positiv sehen: „Für jeden Geschmack etwas.“
Weit ist der ästhetische Bruch mit der Cognac-Tradition in den USA gegangen. Dort wirbt die Branche heute mit schwarzen Models. Mit „Feelings“. Und mit einem Song von Busta Rhymes, der in ein und demselben Atemzug über „Motherfucker“ und Cognac rappt. Damit hat er dem Branntwein aus Frankreich einen Platz in der Protzkultur der Rap-Szene verschafft. Neben schweren Edelmetallketten und Luxusautos.
Selbst der Irakkrieg war nützlich: „Wir haben nie etwas von Boykott gespürt“, schwärmt Béatrice Cointreau. Sogar das Kriegsjahr 2003 war gut für die Branche: „Da haben uns die Bush-Gegner aus Protest gekauft.“ Die von den Haaren bis zu den Stiefeln in Schwarz auftretende energische 45-Jährige führt den Familienbetrieb Frapin. Sie hat in den USA studiert. Und von dort Lehrsätze mitgebracht wie: „Der Kunde hat immer recht.“ Sie ist auch stolz darauf, dass seit ihrem Amtsantritt keine Aushänge der Gewerkschaft CGT mehr am schwarzen Brett hängen. Und sie verweist stolz auf die 800-jährige Tradition ihrer Familie in der Region.
Die ganz alten Flaschen bewahrt Frapin auf dem Stammsitz in Segonzac bei Cognac auf. Darunter Wertvolles wie eine „Dame-Jeanne“ aus dem Jahr 1870. Der Inhalt der dickbauchigen Glasflasche, die mit Stroh umwickelt ist, stammt angeblich aus dem Jahr 1870. Die Trauben wuchsen noch vor der Pariser Kommune und vor der Reblauskatastrophe, die den kompletten Weinrebenbestand rund um Cognac vernichtet hat. Im Mund entfaltet der Cognac aus der Dame-Jeanne eine betäubende Stärke.
In frühen Zeiten wimmelte es bei der Weinlese im Cognac vor Menschen zwischen den Rebstöcken. Heute stehen die Pflanzen so akkurat in Reih und Glied wie Soldaten beim Appell. Die Abstände sind nach den Erntemaschinen bemessen, mit denen die komplette Lese in zwei Wochen abgewickelt wird. Die Produktion ist durchrationalisiert worden. Auch die Handwerker, die früher Fässer bauten, sind verschwunden.
Dennoch senken die Besucher andächtig ihre Nasen über den betäubend starken Duft, der aus dem Getränk aufsteigt. Schwenken Cognac in Tulpengläsern. Lassen ihn ganz langsam an den Glaswänden herabrinnen. Und tauchen ein in das alte Frankreich, das die Cognac-Branche weltweit promotet.