: Rückstau zu Land und Wasser
Wenn die Lokführer streiken, drohen überquellende Hafenterminals und ein Containerschiff-Stau auf der Nordsee. Ab morgen soll der Güterverkehr im Norden lahmgelegt werden. Konsequenzen auch für die Fern- und Regionalzüge
Wenige Kilometer südlich von Hamburg liegt in der Nordheide der größte Rangierbahnhof Europas: Maschen. Fast alle Güterzüge von den norddeutschen Häfen in Richtung Skandinavien, Baltikum, Polen, Ungarn, Tschechien, Österreich sowie Ost- und Süddeutschland – und in Gegenrichtung – werden auf diesem Drehkreuz abgefertigt. Auf sieben Kilometer Länge und mehr als 700 Meter Breite liegen nebeneinander 96 Rangiergleise. Mit allen Nebengleisen ergibt sich ein Gleisnetz von 272 Kilometern. Die Kapazität liegt bei etwa 5.000 Waggons am Tag. Zurzeit werden im Durchschnitt täglich rund 340 Güterzüge mit mehr als 4.000 Wagen abgefertigt. Ab dem nächsten Jahr soll Maschen für etwa 220 Millionen Euro modernisiert werden.Weichen, Stellwerke und Signaltechnik des im Juli 1977 in Betrieb genommenen Rangierbahnhofs werden erneuert, um den steigenden Verkehr in die und aus den norddeutschen Häfen bewältigen zu können. Die Zahl der Züge, die in Maschen abgefertigt werden, soll bis 2015 auf rund 500 am Tag ansteigen. SMV
Von Sven-Michael Veit
So sieht der Kollaps in Norddeutschland aus: „Wenn Schiffe in der Nordsee angehalten werden müssen“, ahnt Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU), dann sei die „volkswirtschaftliche Gesamtverantwortung“ arg strapaziert. Containerschiffe, die Hamburg und die bremischen Häfen nicht mehr anlaufen können, sind der Albtraum von Reedern und Hafenbetrieben. Der aber könnte ab morgen Wirklichkeit werden. Denn der angekündigte Streik der Lokführer soll vor allem den Güterverkehr in Norddeutschland treffen.
Schwerpunkte des Ausstandes werden der größte europäische Rangierbahnhof in Maschen sein (siehe Kasten) sowie die Knotenpunkte in Seelze und Lehrte bei Hannover. „Viele Räder werden stillstehen“, kündigte gestern der Bezirkschef Nord der Lokführer-Gewerkschaft GDL, Norbert Quitter, in Hamburg an. Zwar soll der Personenverkehr nicht direkt bestreikt werden, allerdings werden sich Kollateralschäden nicht vermeiden lassen. Etliche Züge werden ausfallen, einige ICE-Takte und die S-Bahnen in Hamburg sollen „ausgedünnt werden“, kündigte die Bahn an.
Nicht direkt betroffen vom Ausstand werden die Züge privater Betreiber sein. „Im Grundsatz fahren wir planmäßig“, versicherte gestern eine Metronom-Sprecherin. Diese Gesellschaft betreibt die Regionalexpresse zwischen Hamburg und Bremen sowie von Hamburg über Hannover nach Göttingen. Mit Verspätungen und vollen Zügen müsse aber gerechnet werden. Ähnlich äußerten sich unter anderem die Nord-Ostsee-Bahn in Schleswig-Holstein und die Nordwestbahn in Niedersachsen.
„Wir können noch nicht wirklich abschätzen, wie dramatisch es wird“, sagte gestern Ina Klotzhuber, Sprecherin des größten Hamburger Umschlagunternehmens Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Denn über die Details ihrer Streikplanung hüllte die GDL sich natürlich gestern noch in Schweigen, damit die Bahn „nicht frühzeitig verbeamtete Lokführer als Ersatz einplanen kann“, so Quitter. Etwa jeder dritte Container erreicht oder verlässt den Hamburger Hafen auf einem Güterzug. Wenn nicht, weiß Klotzhuber, sei nach wenigen Tagen „der Kai vollgestellt“.
Von einer schwerpunktmäßigen Stilllegung in Maschen wäre auch der Güterbahnhof Alte Süderelbe betroffen. Das Gelände am Containerterminal Altenwerder ist Europas größter Hafenbahnhof, der täglich etwa 200 Züge mit mehr als 6.000 Waggons abfertigt. Sie bedienen die Terminals nach einer ausgefeilten Transportlogistik.
Wenn diese Züge mit Containern und auch Massengut den Hafen nicht mehr erreichen oder verlassen könnten, seien schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Transportketten die Folge, sagte Uldall: „Die Auswirkungen würden in die Metropolregion Hamburg, nach Deutschland und in andere Länder Europas reichen.“
Die Hafenbehörde an der Elbe, die Hamburg Port Authority (HPA), hat denn auch schon eine „Task Force“ eingerichtet. Sie solle „die Auswirkungen des Streiks auf die Leistungsfähigkeit des Hafens so gering wie möglich halten“, gibt HPA-Sprecherin Christiane Kuhrt bekannt. Wie das gelingen soll, bleibt allerdings noch nebulös.
Zusammen mit der Hafenbahn, der Deutschen Bahn und den Terminalbetreibern soll „täglich die Lage analysiert“ werden, so Kuhrt. Dann würden „zeitnahe Reaktionen nach den vereinbarten Prioritäten durchgeführt“. Letztlich heißt das, die Bahntochter Railion, welche die meisten Transporte von und zu den Terminals durchführt, wird alles versuchen, den Kollaps im Hafen zu verhindern. „Ein oder zwei freie Gleise in Maschen“, sagt die HPA-Sprecherin, dann könnte das Schlimmste vermieden werden.
In Bremen und Bremerhaven würde ein Schwerpunktstreik in Maschen ähnliche Konsequenzen hervorrufen, ebenso in Rostock und auch in Lübeck. Die eigene Filiale an der Trave jedoch ist laut HHLA noch das geringste Problem. „Da können wir Trucks einsetzen“, glaubt Klotzhuber, um den Containeraustausch zwischen Hamburg und dem Terminal an der Ostsee halbwegs aufrechtzuerhalten. „Das sind ja nur 70, 80 Kilometer, das geht ein paar Mal am Tag.“
Die Transitlinien nach Ost- und Südosteuropa aber sind das große Problem. Etwa 70 Prozent der Ladung wird auf diesen Strecken mit der Bahn befördert. Wenn dann noch der Güterverkehr mit Skandinavien auf der Vogelfluglinie via Puttgarden und vor allem auf der Hauptstrecke über Flensburg nach Kopenhagen ins Stocken geriete, würde nach wenigen Tagen rund um Hamburg gar nichts mehr gehen.
Denn der Stadtstaat an der Elbe, das weiß auch Gewerkschafter Quitter, „ist nun mal ein Nadelöhr“.
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