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Archiv-Artikel

uli hannemann, liebling der massen Via Eisbärenfell geht es weiter zur neuen Identität

Viel zu spät habe ich bemerkt, dass mein Personalausweis abgelaufen ist. Ich bin abgelaufen. Ich existiere quasi nur noch auf Abruf, in einem unwirklichen Schwebezustand zwischen Sein und Schein, Legalität und Illegalität. Ich bin kein Bürger mehr, bin vogelfrei, ein Insekt ohne Identität – wie eine Mücke dürfte mich jeder auf der Stelle straflos töten. Das ist auf die Dauer ein nicht wirklich tragbarer Zustand. Um wieder zu sein, mache ich mich auf zum Bürgeramt hinter dem Rathaus Neukölln.

In der Eingangshalle steht ein Glaskasten. An dem Glaskasten steht „Information“. In dem Glaskasten steht eine dicke Frau. Neugierig guckt sie aus dem Glaskasten heraus. Ich spreche sie an: Ob die Gerüchte zuträfen, dass das neue Passbild völlig neuen Vorschriften genügen müsse? Das gelte nur für Reisepässe, klärt sie mich auf, „wegen der Amerikaner“, und empfiehlt mir einen Fotoladen schräg gegenüber.

Über dem Schaufenster steht „Passbilder“ und „Bewerbungsfotos“. Drinnen begrüßt mich ein alter Fotograf. Er bittet mich in einen Sessel und verschwindet im Nebenraum. Ich blicke mich um: An den Wänden hängen am Computer auf Ölbild getrimmte Porträts in auf Holz getrimmten Schmuckrahmen. Sie zeigen Dobermänner im Halbprofil, Hochzeitspaare von vorne und nackte Frauen von der Seite. Eine Kundin kniet in pornografischer Pose auf einem Eisbärenfell.

Ich staune: Sobald es um die innere Sicherheit geht, scheint die angelsächsische Prüderie wie weggeblasen – mit solchen Reisepässen erhält man Visa selbst für Sodom und Gomorra! Oder fällt das unter Bewerbungsfoto? Es gibt ja die verrücktesten Berufe. Immerhin ist die Frau auf dem Bild alt genug, um selbst zu entscheiden, womit sie ihr Geld verdient.

Unbehaglicher wird mir beim Anblick diverser halbwüchsiger Mädchen: Profilaufnahmen nur bis zur Taille und die blanke Brust dabei vom Arm verdeckt – der leidige Jugendschutz macht noch nicht mal vor diesem wackeren Behördendiener halt. Wie aber sind die Teenies hier an dieser Wand gelandet?

„Guten Tag! Die Mama schickt mich – ich soll Passfotos machen lassen.“

„Weißt du schon, wie das geht, mein Kind?“

„Nein.“

„Na, dann komm mal mit nach hinten …“

Jetzt hängt sie da als billiges Ölgemälde – Rembrandt goes Wichsvorlage. „Kinderausweis“ lautet der verhohlene Code im Pädophilenjargon. Dem Hoffotografen der Meldestelle spielt ins schmutzige Blatt, dass die Polizei auf der Jagd nach seinesgleichen nur noch das Kindernet durchforstet, anstatt einmal quer über die Straße und in seinen Laden hineinzuspazieren.

Er kommt mit einem Kunden in den Verkaufsraum zurück, verabschiedet ihn und bittet mich nach nebenan. Das Atelier ist gewöhnlich ausgestattet, mit einem Stativ, zwei Schirmen, einem Spiegel. Als einzige Besonderheit liegt in der Mitte des Raums ein Eisbärenfell. „Machen Sie sich bitte frei“, fordert der Fotograf.

Also doch – von wegen „nur für Reisepässe“! Und wir Yankee-Vasallen machen wieder brav jeden Müll mit. Doch noch bin ich vogelfrei – habe ich einen Ausweg? Scheiß drauf, Augen zu und durch, es wird eh nicht lang dauern! Am Teufelssee fällt mir doch auch kein Zacken aus der Krone. Erst ein wenig gehemmt, doch bald zunehmend anmutiger räkle ich mich auf dem Fell. „Immer locker bleiben“, ruft der Alte, „ja, sehr schön, wunderbar“, und verknipst rasend schnell mehrere Filme.

Das macht mich nun doch stutzig – schließlich brauche ich bloß vier Aufnahmen. „Die sind jetzt aber schon für den Personalausweis, ja?“, vergewissere ich mich.

„Ach so“ – der Fotograf ist sichtlich überrascht: „Dann gucken Sie bitte einmal rechts an mir vorbei!“